„Gebäude 4.0 – Immer an die Nutzer denken“
„Gebäude 4.0 – Herausforderungen bei der Integration von Smart Technology“ war das Thema des CoreNet Global-Mastertalks Real Estate #26. Zu diesem hatte Prof. Dr. Thomas Glatte, Professor für Immobilienwirtschaft an der Hochschule Fresenius und als CNG-Vorstandsmitglied für Aus- & Weiterbildung zuständig, unter der Moderation von Martina Williams, Head of Work Dynamic DACH/CEE bei JLL, folgende Teilnehmer eingeladen:
- Tobias Enders, CEO GMS Global Media Services GmbH
- Frank Schröder, Leiter Facility Management, Phoenix Contact Electronics GmbH
- Dr. Marc Gille, CEO Thing Technologies GmbH
- Energieeffizienz: Existiert schon seit einigen Jahren durch die Regulatorik, den ESG-Kontext und die Dekarbonisierung. Nun ist der Aspekt durch Inflation, Energiepreise und Krieg noch drängender geworden.
- Flächenoptimierung: „Das Thema Homeoffice und Hybridarbeit wird uns noch lange beschäftigen. Denn Mitarbeiter lieben es, im Homeoffice zu arbeiten.“ Der Umgang mit Überkapazitäten – von denen man aber nicht weiß, wie viele – ist weiterer zentraler Faktor eines jeden Projekts. Die gute Nachricht: „Da helfen ebenfalls smarte Technologien.“
- Workspace Experience: „Wenn wir die Fläche auf die richtige Größe gebracht haben und wissen, welche Bereiche wir weiterhin brauchen, müssen die Büros begeistern. Wir wollen schließlich unseren Mitarbeitern ein tolles Erlebnis bieten, wenn sie ins Office kommen“, fuhr Enders fort und betonte: „Das Büro ist kein Auslaufmodell, sondern wir benötigen das Office – das sich aber ändern muss.“ Hierzu gehören zuallererst auch deren Strukturen – wo einmal mehr Technologie helfe, um diese Begeisterung auszuströmen.
Der Mensch im Mittelpunkt
All dies zeige sich in der von JLL entwickelten „3-30-300-Regel“. Der Business Case für die Einführung der Smart Technologies ergebe sich meist aus dem Wunsch nach Flächenoptimierungen. Daneben betonte Enders, dass wir zwar oft „über Leuchtturmprojekte“ sprechen, „die Neubauten, die super smart sind und herausstechen.“ Doch das eigentliche Potenzial liege im Bestand; auch wegen des geänderten Finanzierungsumfelds. Und noch ein Punkt ist ihm wichtig: „Wir sollten uns nicht primär mit der Technologie selbst beschäftigen – der Nutzer steht im Mittelpunkt.“ Entscheidend sei auch der Plattformgedanke. Man dürfe nicht für „jeden einzelnen Use Case eine einzelne App aufs Handy bringen oder einzelne Interfaces haben.“ Und auch wenn man erstmal mit Einzelprojekten loslege, solle man immer das große Ganze im Hinterkopf haben und auch auf die Skalierbarkeit achten.
Was wären nun typische Beispiele und Nutzerbedürfnisse? Hier stellte Enders seine wichtigsten fünf vor:
- Auf das Thema Flächenoptimierung zahlen Buchungssysteme ein.
- Das Thema Orientierung und Positionierung in den Gebäuden ist ein zweites wichtiges Thema.
- Schließlich stehe der Komfort im Mittelpunkt, also die Steuerung von Medien, Licht, Heizung oder Kühlung.
- Zugangskontrolle: „Die ist recht kompliziert, wenn man es gut machen will. Aber sie bringt ebenfalls Komfort und Prozesserleichterung. Denn Transponder werden auf diese Weise überflüssig. Alles kommt aufs Handy.“
- Meetingräume, auch für die hybride Nutzung.
Vom Putzroboter bis zur Kaffeemaschine – alles über eine Plattform
Frank Schröder wurde von Moderatorin Williams als „extrem passioniert zu diesem Thema“ ins Rennen geschickt: „Frank verantwortet bei Phoenix nicht nur den Brandschutz, die Arbeitssicherheit, den Umweltschutz und den Werkschutz, sondern auch die Gebäudeleittechnik – und zwar für Büro- und Produktionsgebäude.“
Bei letzterem bestünden große Anforderungen an eine anspruchsvolle Prozessumgebung – ein Anspruch, auf den Schröder näher einging: „22.000 Mitarbeiter weltweit beschäftigen sich bei uns mit Produkten der Elektrotechnik im Schaltschrank und in der Verbindungstechnik. Und so wie unsere Maschinen größtenteils selbst bauen, so bauen wir auf unsere Gebäude selbst.“ Aus seiner Sicht ein großer Vorteil: „Wir planen, bauen und betreiben die Gebäude.“ Sein Unternehmen habe die klare Erwartung, diese Gebäude gut und günstig zu betreiben. „Auch 25 Jahre altes Produktionsgebäude müssen genauso digital sein wie ein Neues“ betonte er.
Die Digitalisierung der Gebäude laufe dabei schon lange, wie Schröder berichtete. Inzwischen gebe es dort etwa einen Datenpunkt pro Quadratmeter: „Ich weiß, wer im Besprechungsraum drin ist, wie voll er war und ob da was gereinigt werden muss – ohne dass ich reingucken muss.“ Alle vier Gebäude, egal ob Produktion oder Büro, laufen über eine Plattform. „Die Kaffeemaschine kann genauso angesteuert werden, wie die Produktionsmaschine.“ Vor allem in den Produktionsgebäuden gebe es immer mehr Sensoren und damit Informationen, so dass die Maschinen dort ständig schlauer werden, so wie die gesamte Plattform.
Vermieter und Mieter mit unterschiedlichen Prioritäten
Marc Gille ist Gründer und CEO von THING TECHNOLOGIES, eine „smarte Real Estate Operations-Plattform für alle: CREMler, Immobilienentwickler, Asset Manager und Dienstleistende.“ Das Unternehmen ist mit der höchsten Punktzahl WiredScore-zertifiziert. Gille erläuterte das bereits angesprochene und im weiteren Verlauf oft zitierte „3-30-300-Paradigma“. Es besagt, dass auf einem Quadratmeter Bürogebäude – grob gesehen – 3 Euro Betriebskosten entfallen, 30 Euro Miete und 300 Euro Kosten bezogen auf die Mitarbeiter entstehen, die auf dieser Fläche arbeiten. Seine Schlussfolgerung: „Daran sieht man, wer den größten Mehrwert bietet.“ Also mache es Sinn, sich den „300er-Bereich“ genauer anzuschauen. Denn das seien die Leute, die die Musik und damit den Fortschritt bezahlen.
Daher müssen die Mitarbeiter im Büro unbedingt bei allen smarten Vorhaben mit einbezogen werden – mit all den Aspekten zum Wohlbefinden, Effizienz und der Kollaboration. Die einzelnen Akteure setzen dabei allerdings unterschiedliche Prioritäten: „Die Corporates achten auf die 300er- und die Gebäudebetreiber auf die 3er-Skala.“
Betriebsrat und Datenschutz – oft vorgeschoben, um nichts zu tun
Daran schloss sich die von Co-Moderatorin Anke Gerlach zitierte Frage an: „Wer sollte denn die Investitionen durchführen und die Plattformen einführen? Mieter, Vermieter, Eigentümer oder gibt es künftig die sich allzeit synchronisierenden Systeme, die Mieter und Vermieter mitbringen?“ Darauf Enders: „In der Praxis erleben wir beides. Sowohl Gebäudeentwickler, Eigentümer oder Investoren versuchen, Plattformen zu implementieren und Werte für die Nutzer zu schaffen.“ Gleichzeitig sieht er bei den Corporates den Trend, dass sie ihre eigene Plattform etablieren wollen. „Beide Wege können funktionieren. Wichtig ist nur, dass die jeweilige Technik integriert werden kann. Die Plattform muss also eine gewisse Offenheit haben.“
Die nächste Frage aus dem Teilnehmerkreis drehte sich um die Einbindung von Betriebsrat & Co. Hier berichtete Schröder: „Als Industrieunternehmen sprechen wir das Wort ‚Industrie 4.0‘ schon seit Jahren aus. Das Management ist sowieso Vorreiter und die Mitarbeiter bis zum Betriebsrat sind ebenfalls sehr affin. Datenschutz und Betriebsrat sind extrem wichtig, aber kein Feigenblatt, um alles anzuhalten.“ Denn dies seien „genau die Schwierigkeiten, die wir in Deutschland oft haben.“ Da werde oft überdramatisiert.
Dazu passte die Frage: „Wie werden End User im Büro bei der Planung von Smart Building-Lösungen berücksichtigt?“ Schließlich gebe es manchmal Diskrepanzen zwischen dem, was man denkt, was sinnvoll ist und was am Ende die Leute nutzen wollen? Darauf Schröder: „Wenn wir solch ein Gebäude bauen, sitzen wir ständig mit den Mitarbeitern zusammen – und zwar bevor man anfange. Da geht es um Raumkonzepte und konkrete Wünsche. Der Mitarbeiter muss den Mehrwert erkennen.“
Dem schloss sich Enders an: „In der Vergangenheit wurde das oft ohne den Nutzer oder sogar vom Nutzer weg entwickelt. Das dreht sich gerade massiv, weil jeder die Problematik hat, das wir nicht genug Leute auf die Fläche zurückkommen.“ Den Aspekt des möglichen Flächensterbens führte er weiter aus: „Wir wissen nicht genau, wie viel Fläche wir zukünftig brauchen. Wir haben deutlich zu viel Kapazität. Denn die Leute kommen nicht wieder oder sind im Homeoffice. Daher müssen wir mit den Büros Attraktivität schaffen – und das geht nur mit Nutzern im Fokus.“ Dazu gehöre auch, Digitallösungen nicht allen pauschal zu diktieren: „Manche wollen den Lichtschalter beibehalten.“ Auch solle man die Dinge schrittweise einführen und nicht immer gleich den Big Bang ausführen; erst Recht nicht, wenn man gerade in ein neues Gebäude zieht. Das allein sei schon eine große organisatorische Angelegenheit. „Da muss man nicht gleich noch das Digitalisierungsthema oben draufpacken.“
Smarte Technologien nutzen auch Unbefugte
Wie aber schützt man sich vor Leuten, die sich ohne Keycard und App-Zugang verschaffen – durch die nun mannigfachen neuen Schnittstellen und in krimineller Absicht? Hierzu fragte Moderatorin Williams: „Es ist ja relevant, dass nicht über den schwächsten Link etwas reinkommt, was Euch schädigen könnte. Wie schützt ihr Euch und muss dazu auch das Cyber Security-Budget aufgestockt werden?“ Laut Enders sei Cyber Security ein zentrales Thema, das alle Gebäudebereiche umfasst. Lakonisch brachte er es auf den Punkt: „Manche denken, sie kaufen einen Aufzug. Dabei ist das ein Computer.“ Auch dürfe man nicht denken, dass man alles einbaut, dann alles fertig sei und bis in alle Ewigkeit laufe. „Vielmehr ist der weitere Betrieb entscheidend. Da geht es um Security Patches oder Upgrades dieser Technologien.“ Auch für Gille gehört der IT-Schutz „zu einem nicht geringen Prozentsatz zu unserer Arbeit dazu. IT-Systeme sind angreifbar. Da habe ich tägliche Sicherheitsarbeit zu leisten mit Patches, Prüfungen und vielem mehr.“
Schlaue Gebäude
Williams zog als Fazit: „Ich habe mitgenommen: Das Mindset muss sich ändern. Wir müssen Gebäude als Teil des IT-Systems denken. Der Business Case rechnet sich auch für Bestandsgebäude. Und wir haben auch festgestellt, dass der Business Case weit mehr als gebäudespezifische Faktoren umfasst, sondern vor allem auch die Nutzer.“ Ihre Abschlussfrage an alle drei: „Gebäude 4.0 – wo steht Deutschland?“
Enders betonte dabei den Anwendernutzen: „Wenn der stimmt, entwickeln sich die Dinge von ganz allein.“ Gille schloss sich dem an: „Wichtig ist, zu zeigen, was funktioniert, und zwar über Herstellergrenzen hinweg. Denn es wurde schon eine Menge erfolgreich umgesetzt.“ Und Schröder: „20 Prozent der Kosten entstehen beim Bau, 80 Prozent im Betrieb. Kein Investitionsgut haben wir so lange, wie eine Immobilie. Viele gucken aber nur vorn auf den Planungs- und Bauprozess – und nicht darauf, wie es danach weitergeht. Wir brauchen also Leute, die das ganzheitlich sehen. Auch im Hinblick auf den CO2-Fußabdruck.“
„Da die Maschinen in der Produktion immer schlauer werden, muss auch das Gebäude, das sie umgibt, immer wieder schlauer werden“, so die Kernbotschaft zum Mastertalk von Glatte.
Der nächste Mastertalk findet am 21. März um 17 Uhr statt zum Thema: „Das Frühjahrsgutachten des Zentralen Immobilien Ausschusses ZIA.“
Weitere Informationen unter www.mastertalk.net.