Transformationen der Infrastruktur in Industriestandorten

Herausforderung Industrie 4.0

Industrie 4.0 beinhaltet nicht nur die Digitalisierung von Geschäftsprozessen. Es geht um weit mehr – um die Bewältigung grundlegender Transformationen der technologischen Basis im weitverzweigten industriellen Branchenmuster. Zugleich ändern sich Zeithorizonte. Dramatische Beschleunigungen der Automatisierung durch Robotik, Künstliche Intelligenz, Internet of Things werden zeitnah prognostiziert. All das ist eingebettet in langlebige Güter industrieller Infrastruktur, wie Immobilien und technische Netze.

Die folgenden Ausführungen ergänzen den zurückliegenden Beitrag „Instandhaltung 4.0“ in FACILITY ­MANAGEMENT-Ausgabe 4|2018. ­
Sie sind ein Versuch, den sich abzeichnenden Bedarf an strukturellen Veränderungen in Industriestandorten aus ­erkennbar gewordenen Entwicklungsimpulsen einer Industrie 4.0 abzuleiten.

Industrie 4.0 beschleunigt den Anpassungsbedarf in Standort-Infrastrukturen

Dass es sich bei sprunghaft anrollenden Technologietrends, wie Robotik, künstliche Intelligenz und Internet of Things um fundamentale Veränderungen handelt, gilt als gesetzt. Sie bleiben aber unverständlich, wenn man deren Schauplätze und lokale Besonderheiten nicht mitdenkt. Technologische Innovationen enden in gelieferten und betriebenen Industrieausrüstungen – und die haben ihren Ort in Bauwerken, also in langlebigen Gütern. In der Umkehrung – aus der Sicht dieser immobilen Objekte – heißt das: Nutzungsprozesse und deren Umgestaltung ereignen sich in Arealen, Gebäuden und Räumen – mit veränderten Anforderungen an diese infrastrukturelle Umgebung (Grafik1).

„Upgradings“ industrieller Wertschöpfungsprozesse – mit einhergehenden „Replacements“ der Nutzerausrüstung – induziert baulich-technischen Anpassungsbedarf. Zur alltäglichen Erfahrung des CREM / FM gehört aber, dass mobile Einrichtungen leichter und schneller ersetzt werden können, als immobile Objekte. Der immer kürzer werdende historische Takt, in dem mobile Industriegüter veralten, wird daher nicht zu einem synchron verlaufenden Umbau in den dauerhafteren Strukturen der Industriestand-orte führen. Zu rechnen ist dagegen mit wachsenden Anpassungsstaus im Bestand der Industrieimmobilien – verbunden mit einhergehenden Verwerfungen zwischen fortschreitender Nutzungsdynamik in Primäraktivitäten der Wertschöpfung und hinterherhinkender Infrastruktur aus Immobilien und Services.

Paradigmenwechsel in der Organisation von CREM und FM

4.0-Replacements in Nutzerprozessen lokaler Infrastruktur erfordert nicht nur die Neuausrichtung wertschöpfender Organisation – sondern auch Transformationen der Support-Organisation. Das bedeutet aber nichts weniger als ein neuerlicher Paradigmenwechsel, sowohl im Corporate Real Estate Management wie im zugehörigen Facility Management. Nach Michael Porter sind Unternehmen ausgerichtet auf Wertketten. Erfolgskritisch ist die Unterscheidung von Primäraktivitäten (eigentliche Wertschöpfung) und Sekundäraktivitäten (nicht-wertschöpfende Aktivitäten). Mit dem Einzug von Industrie 4.0 in Prozessen der Produktion, Logistik und Forschung wird diese Differenzierung aber weniger trennscharf:

Durch die oft sprunghafte Erhöhung bei Supportanforderungen (z. B. Predictive Maintenance) erhalten auch unterstützende Prozesse Wertschöpfungsbeiträge. D. h. CREM-Verantwortung und FM-Kompetenzen werden einen erhöhten Stellenwert im Ranking der Unternehmensbereiche erfahren.

Mit zunehmend kürzeren Intervallen, in denen technologische Innovationen den Austausch vorhandener Ausrüstungen erfordern (auch getrieben durch Anpassung  der Wettbewerbsfähigkeit), bedingt gleichsam eine Spiegelorganisation in der Anpassung technischer und baulicher Anlagen – z.B. bei Systemen der Gebäudeautomation, Sicherheitstechnik, Lüftungstechnik, Fördertechnik, Lichttechnik.

Potenziale und Probleme der Digitalisierung

Dieser Strukturwandel ist aber zunehmend problembehaftet. Technologische Innovationen führen zu Überforderungen – bei Planern und leider häufig auch bei Errichterfirmen. Eine im günstigsten Fall erreichte Störungsfreiheit technischer Anlagen ist aber auch dann nicht problemlos, wenn sie einwandfrei funktionieren. Einfach deswegen, weil, Nutzer, aber auch das Betreiberpersonal, mit wachsender Bedienkomplexität nicht zurechtkommen.

Seit den Anfängen in den zurückliegenden 80er Jahren ist CREM eigentümer­orientiert in der Investitionsverantwortung. Demgegenüber ist FM nutzer- und betreiberorientiert. Die Tatsache, dass es sich hierbei um komplementäre, sich ergänzende Bereiche handelt, ist zwar seit Ende der 1990ger Jahre zu einem organisatorischen Standard geworden. Gleichwohl wurde aber die ursprüngliche Trennung nur selten überwunden: Investitionsprozesse in Bauabteilungen sind in vielen Fällen immer noch abgeschottet gegenüber Betreibern und Nutzern.

Ein bis heute daraus folgender Mangel sind zerrissene Datenketten zwischen Bauprojekten und nachfolgendem Betrieb. Die Bringschuld „FM-gerechte Bestandsdaten und -dokumente“ bleibt ein Wunschbild.

Der Strukturbruch zwischen Investieren und Betreiben verschärft sich noch mit zunehmenden Anforderungen an Datentransparenz und datentechnische Nachweise im Zuge wachsender Konsequenzen bei Nicht-Erfüllung von Pflichten der Betreiberverantwortung. ­Zweifellos ist hierfür das Building Information Modeling (BIM) ein Hoffnungsträger. BIM erneuert die vielfach beschworene Vision, dass Bestandsdaten „As built“ und zudem betreibergerecht am Ende von Bauvorhaben an den Betrieb übergeben werden. Dem Autor ist aber kein Praxisfall bekannt, in dem das befriedigend gelungen ist.

Greifbarer sind Anwendungsmöglichkeiten des Internet of Things. IoT-Systeme ermöglichen die Verringerung zyklischer Regelleistungen bei Inspektionen, Wartungen und Prüfleistungen. In einer „Instandhaltung 4.0“ (vgl. o.g. Beitrag) bewirken intelligente Bauteile teilw. erhebliche Kostenreduktionen, bei zugleich höherer Zuverlässigkeit. Beispielhaft sind Brandmeldeanlagen, in denen Brandmelder über ihren Verschmutzungszustand Daten an ein Servicezen­trum melden. Damit angestoßene Prozesse erfolgen „on demand“. Sie ersetzen zyklisch organisierte Services.

Organisatorische Perspektiven des CREM + FM

Wenn in solcher Weise Prozesse digitalisiert werden, verschieben sich Ansprüche an Wissen und Fähigkeiten. ­IT-Kompetenz wird somit zu einer notwendigen Bedingung für erfolgreiche Service-Teams. Das aber ist in den vorherrschenden Qualifikationen der FM-Branche ein Problem mit hohem Gewicht, verstärkt nicht nur durch Fachkräftemangel, sondern vor allem durch berufliche Kanalisierungen. ­
Zu dessen Überwindung gehört die Etablierung lernender Organisationen in Unternehmen – interprofessionell und kooperativ in gemischten Teams. Gute Erfahrungen hat der Autor in Qualitätszirkeln gemacht.
In zahlreichen Beiträgen der Fachliteratur ist das „M“ in CREM und FM beschworen worden: Es geht um Management. Tatsächlich ist dieser Anspruch aber immer wieder fragwürdig geblieben, selten gelungen. Einer der Gründe dafür ist das für „einfache Tätigkeiten“ (der überwiegende Teil Anteil in Facility Services) typische Missverhältnis von Führung und praktischer Ausführung. Das ist ablesbar am oft erstaunlichen Wachstum von Service Unternehmen. Je größer die Mitarbeiterzahl bei Reinigungsunternehmen, Wachdiensten oder Wartungsfirmen, umso größer sind Führungsspannen – oft zu wenig gepaart mit dispositiven Aufgaben.

Im Umgang mit anvertrauten Assets wird aber zukünftig der strategische Schwerpunkt in Umgestaltung und Optimierung liegen: Gefragt sind Beiträge zu einem Management of Change!

In dem Maße, wie im Fortschreiten der Digitalisierung, operatives Personal sowohl Bestandsdaten wie Betriebsdaten von Einrichtungen / Anlagen / Immobilien zur Verfügung hat, können daraus im Zuge von Auswertungen rücklaufende Wissentransfers an die Leitungsebenen erfolgen. Erfahrungen in Forschungs- und Beratungsprojekten bei Fraport und der Deutschen bahn haben dies bestätigt (vgl. auch FACILITY MANAGEMENT 2|2017). Daraus erwachsen große Chancen für CAFM-­Systeme und deren Einbindung in BIM-Technologien.

Big Data Analyse: Nein – Small Data Digitalisierung: Ja

Die Möglichkeiten eines gleichermaßen digital-technologischen und organisatorischen Wandels in einem Industriestandort gehen einher mit der Beantwortung folgender Schlüsselfragen:

■ Welche 4.0-Wertschöpfungsprozesse ereignen sich in welchen Objekten der gebauten Infra­struktur?
■ Wie lassen sich diese Objekte zusammen mit zugehörigen Dienst-leistungen ertüchtigen?
■ Welche Daten und Software sind dafür erfolgskritisch?

Generieren von Daten geschieht nicht in beliebigen Abstraktionshöhen, sondern bedeutet von Anfang an hohe Eindringtiefe in Leistungsprozesse und damit einhergehendes Wissen. Wenn man sich die Vielfalt von Liegenschaften, der darin verbauten Anlagen und weiter die darin verbauten Bauteile vergegenwärtigt, erscheint das auf der Datenebene wie eine explosive Kaskade von Detaillierungen. Dieses Phänomen ist seit der Einführung von CAFM-Systemen in den 1980ger Jahren bekannt. Zahlreiche Versuche CAFM nutzbringend einzusetzen sind damals steckengeblieben, weil die gewünschte Datentiefe – „bis zur letzten Schraube“ – an den Grenzen der Machbarkeit scheiterte – und schlimmer noch, am Ende nicht gepflegt werden konnte.

Die Digitalisierung heutiger Ausprägung darf diesen Fehler nicht wiederholen. Aber wie kann das gehen? In laufenden Transformationsprojekten hat der Autor in Teams mitgewirkt, die mit der von ihm so genannten „Pareto-Lupe“ arbeiten, um in allen Projektphasen die Informationsmenge überschaubar zu halten. Das klassische Gebot „Reduktion von Komplexität“ war maßgebend. Auf allen Ebenen einer Objekthierarchie (Areal / Gebäude / Anlagen / Bauteile) wurde die sich entfaltende Komplexität mit Hilfe von A-B-C-Analysen nach dem Paretoprinzip (angenähertes 80:20 Verhältnis) schrittweise verringert. Dieses Vorgehen wiederholt sich je Objektebene in Stufen der Detaillierung (Grafik 2).

Der Pareto-Fokus ermöglicht es, unterschiedliche Grade von Effektivität und Effizienz bei Funktionen und Prozessen der Infrastruktur einzugrenzen. ­Dadurch können die insbesondere für Industrie 4.0 erhöhten Anforderungen besser und realistischer umgesetzt werden. Ein weiterer Vorteil ist die Beherrschbarkeit der dann zu bewältigenden Datenmenge. Dabei geht es im Gegensatz zu der Big-Data-Analyse  eher um das Gegenteil: um eine Small-Data-Digitalisierungsstrategie.

Transformationsprojekte

Eine immer wieder gestellte Frage von Verantwortlichen im Corporate Estate Management betrifft den Grad des ­Alterns und des Veraltens im Gebäude- und Anlagenbestand: Zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang sind Modernisierungen, Sanierungen, Erweiterungen oder Neubauten erforderlich? Dabei geht es in einem Industriestandort oft um einen Gebäudebestand zwischen 100 bis 300 Immobilien. Das sind i.d.R. Mischbestände aus alten Bauwerken, mit eher zufälligen Teilsanierungen und Anteile neuer Bauten. Wenn man versucht, den Bedarf an Erneuerungskosten insgesamt zu schätzen – z.B. mit Hilfe von Bauteil-Restlebensdauern und statistischen Lebenszykluskennwerten in Verbindung mit Wiederbeschaffungswerten – ist das Ergebnis oft erschreckend hoch. Derart aufsummierter Erneuerungsbedarf ist kaum verträglich mit üblichen Budgetgrenzen.

Es geht aber auch anders, wenn man ­
auf Basis der angesprochenen Pareto-Methodik kritische Eingrenzungen vornimmt. Grafik 3 zeigt ein Stufenmodell, das der Autor für Industriestandorte entwickelt hat. Nach einer umfassenden Durchmusterung des gesamten Gebäudebestands in Stufe 1 werden nach einem gemeinsamen mit dem Standortmanagement entwickelten Satz von Entwicklungskriterien ca. 20 % derjenigen Gebäude ausgewählt, die sowohl hinsichtlich von Nutzungsaspekten, wie auch bezogen auf Betreiberprozesse und immobilienwirtschaftliche Aspekte relevant sind: (1) für investive Veränderungen und / oder (2) für Optimierungen. Daraufhin folgen in weiteren Stufen ähnliche Durchmusterungen auf unterschiedlichen Ebenen der Objekthierarchie. Gezielt werden Maßnahmen für Verbesserungen oder Erneuerungen baulicher und technischer Anlagen festgelegt. Unsere Erfahrungen aus solchen Transformationsprojekten zeigen einen Doppeleffekt: Die Erarbeitung eines ­Fitnessprogramms, das selektiv auf ausgewählte Gebäude, bauliche und tech­nische Anlagen ausgerichtet wird, erschließt Rationalisierungspotenzial. Zugleich werden Potenziale erschlossen für nachhaltige Standortentwicklung.

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