Makroökonomische Veränderungen prägen die Arbeitswelt
16.12.2024
Grafikquelle: Steelcase
Das Steelcase WorkSpace Futures Team hat vier Macro-Trends erforscht, die unsere Arbeitswelt gravierend beeinflussen. Einige der Veränderungen bahnten sich bereits seit mehreren Jahren an, während andere scheinbar urplötzlich auftraten. Neu sind die Dimension und das Tempo dieser Veränderungen. Unternehmen müssen den Einfluss dieser Umbrüche auf unser Verhalten verstehen und können erst dadurch zukunftsfähige Arbeitsorte erschaffen, die das Miteinander fördern und Wohlbefinden sowie Leistung der Mitarbeitenden steigern.
1. Makro-Trend: Leben am Bildschirm – hybrides Arbeiten
Bildschirmgestützte Interaktionen verdrängen persönliche Gespräche. Selbst im Büro ziehen die Mitarbeitenden heute Meetings am Bildschirm einer Besprechung im Konferenzraum vor – aus Bequemlichkeit. Dadurch halten Einsamkeit und Isolation Einzug. Im Zuge dieser Entwicklung haben sich daher die Büronutzung und die Beziehungen am Arbeitsplatz grundlegend verändert.
Daseinskrise für das klassische Büro
Laut einer Studie von Steelcase WorkSpace Futures verbringen die Menschen heute mehr Zeit mit virtueller Zusammenarbeit als mit persönlichen Treffen. Die Umstellung auf bildschirmgestützte Interaktionen schien zunächst allmählich voranzuschreiten – erfolgte dann aber doch auf einen Schlag. In den 2010er Jahren nahm sie durch videofähige Smartphones und allgemein zugänglicher Videokonferenztechnologie an Fahrt auf. Mit neuen Plattformen wie Microsoft Teams und Zoom konnten Angestellte von jedem Ort aus an Meetings teilnehmen. Aber erst die Pandemie sorgte für deren rasante Verbreitung und für neue Normen – in nur vier Jahren änderte sich das Arbeitsverhalten grundlegend und dauerhaft. Plattformen zur Zusammenarbeit unterstützten Remote- und Hybrid-Arbeit und stürzten das klassische Büro in eine Daseinskrise. Viele Arbeitsorte wurden bedenklich leer, obwohl Unternehmen mit der Rückkehr ins Büro und hybriden Arbeitsmodellen expe- rimentierten.
Remote Arbeit oder Anwesenheitsrate?
Immer mehr Führungskräfte fordern nun jedoch die Rückkehr ins Büro. Aber trotz des Drängens nach Anwesenheit ist das Büro an manchen Tagen voller Leben und an anderen wie ausgestorben. Gespräche mit Führungskräften über die heutige Arbeitswelt gleichen oft einer Therapiesitzung: Niemand möchte sich über „hybride Arbeit“ oder die „Rückkehr ins Büro“ unterhalten – aber alle tun es dennoch. Führungskräfte fürchten, dass zu viel Remote-Arbeit die Unternehmensleistung und -kultur beeinträchtigt. Führungskräfte und Unternehmer müssen die richtige Balance finden, denn sie haben Wachstums- und Rentabilitätsziele zu erreichen und fragen sich, ob die Mitarbeitenden außerhalb des Büros produktiv arbeiten.
Nur 25 % der Führungskräfte sind mit der momentanen Anwesenheitsrate ihrer Mitarbeiter im Unternehmen zufrieden. Die Zahl der Führungskräfte, die sich für eine Anwesenheitspflicht aussprachen, stieg im letzten Jahr um 92%.
Laut eigenen Aussagen der befragten Unternehmen brauchen Führungskräfte Arbeitsorte, die ihre Strategien zum Umgang mit diesen Veränderungen unterstützen. Die richtige Arbeitsumgebung zieht Talente an, fördert die Kultur und trägt zu Wohlbefinden und Produktivität bei den Mitarbeitenden bei. Diese brauchen einen Arbeitsort, der zukunftsfähig ist, sich bei Bedarf schnell anpassen lässt und die Resilienz der Mitarbeitenden stärkt.
Die Verbreitung hybrider Arbeitsweisen hat verändert, wie, wann und wo gearbeitet wird. Mitarbeiter können im Rahmen ihrer Homeofficetätigkeit ihren beruflichen und privaten Verpflichtungen flexibler nachkommen. Sie haben allerdings mehr Bildschirm-Meetings, die länger dauern und sind somit stärker isoliert.
Wissenschaftler von Microsoft entdeckten ein neues Arbeitsmuster, das sie „Triple Peak Day“ tauften: Die Menschen arbeiten nicht mehr nur zu den Spitzenzeiten vor und nach der Mittagspause, sondern auch vor dem Schlafengehen. 42% mehr Chats werden im Durchschnitt heutzutage abends per Microsoft Teams gesendet.
Bildschirmarbeit verringert Aufmerksmakeitsspanne
In den letzten zwei Jahrzehnten ist unsere Aufmerksamkeitsspanne um mehr als 30 % gesunken – auf 47 Sekunden. Bereits vor zehn Jahren wurden Gespräche als schlimmster Störfaktor im Büro genannt, was sich nun durch virtuelle Meetings in offenen Büro- umgebungen verschärft.
Laut einer globalen Steelcase-Studie klagen zwei Drittel der Mitarbeitenden über Konzentrationsschwierigkeiten durch Lärm im Büro. Aber auch das Home-Office garantiert keine Konzentration. Kinder, Haustiere und Hausarbeit möchten unsere Aufmerksamkeit.
2. Makro-Trend: Nachhaltiges Denken
Im vergangenen Jahr verdoppelte sich die Zahl der Unternehmen, die sich zu Nachhaltigkeitszielen verpflichtet haben. Diese umzusetzen liegt in unserer gemeinsamen Verantwortung. Aufgabe des Arbeitsortes ist es, die Menschen zusammenzubringen, um zu lernen, sich weiterzubilden, Prioritäten abzustimmen und Innovationen voranzutreiben. Dies erfordert nachhaltiges Design – mit Partnern, die wissen, wie Räume flexibel und zukunftsfähig gestaltet werden. Es gibt deutliche Signale dafür, dass Nachhaltigkeit für Unternehmen künftig noch mehr an Bedeutung gewinnen wird. Die Zahl der Unternehmen, die sich wissenschaftlich gestützte CO2-Reduktionsziele setzen, stieg im vergangenen Jahr um 102%. Diese strategische Entscheidung führt zur Entstehung neuer Arbeitsplätze und erfordert, dass die bestehende Belegschaft sich weiter qualifiziert.
Eine Kultur der Nachhaltigkeit kultivieren
Führungskräfte müssen folglich das Lernangebot erweitern und alle Unternehmensbereiche einbeziehen, um diese Ziele zu erreichen. Ihr Schwerpunkt ist die Ausbildung einer Kultur, die das Wissen der Nachhaltigkeitsteams nutzt und alle Mitarbeitenden involviert, um das kollektive Handeln zu beschleunigen. Die Führungskräfte wissen, dass sie mit Partnern zu- sammenarbeiten müssen, die ihnen bei der Gestaltung eines nachhaltigen, flexiblen und belastbaren Arbeitsumfelds helfen.
Unternehmen mit wissenschaftlich gestützten Zielen zur CO2-Reduzierung machen inzwischen fast 40% der Weltwirtschaft aus (SBTi). Bis 2050 werden voraussichtlich 300 Millionen neue „grüne“ (nachhaltigkeitsbezogene) Arbeitsplätze entstehen. (Deloitte)
3.Makro-Trend: KI Superzyklus
Getrieben von Optimismus und Zukunftsangst springen viele Arbeitnehmer auf den KI-Zug auf. Führungskräfte sind sich dessen bewusst, dass sie diese Dynamik aufgreifen müssen. Die Chance auf Innovation und Produktivitätssteigerungen bewirkt einen „Superzyklus“ – eine Phase des Wirtschaftswachstums infolge neuer Technologien. Um diesen Superzyklus optimal zu nutzen, müssen wir jetzt KI-gerechte Arbeitsorte erschaffen.
Die Weiterentwicklung der KI und ihre Integration in unsere Arbeit verändert auch die Interaktion mit unserer Umgebung.
Das Gros der Arbeitnehmer nutzt bereits KI für die Arbeit, um Zeit zu sparen, sich besser zu konzentrieren und kreativer zu sein. Führungskräfte wissen dies, fürchten aber, dass wir für das rasante Tempo, mit dem Maschinen Einzug in unser Arbeitsleben halten, nicht gewappnet sind. Die Frage ist: Wie können Unternehmen jetzt KI-gerechte Arbeitsumgebungen schaffen?
KI lockt mit dem Versprechen, die Barrierefreiheit zu verbessern, die Kreativität zu steigern und dynamischere Arbeitsplätze zu schaffen. Der dadurch ausgelöste Superzyklus vollzieht sich so rasant, dass man versucht ist, abzuwarten und zu beobachten.
„KI verändert bereits jetzt die Arbeitswelt. In der Folge werden neue Umgebungen benötigt, die unterschiedliche Arbeitsweisen unterstützen“, so Keith Bujak, Forschungsleiter bei Steelcase WorkSpace Futures. „Das Design KI-gerechter Arbeitsplätze bietet Mitarbeitenden eine ideale Basis, um von diesem Superzyklus zu profitieren.“
Grundlage dafür ist, dass Unternehmen das veränderte Verhalten am Arbeitsplatz auf taktischer und strategischer Ebene verstehen.
KI in der Raumgestaltung
KI führt bereits jetzt zu einem adaptiveren Erlebnis für Design-, Immobilien- und Facility-Teams. Die Daten fließen in erste Raumkonzepte ein und ermöglichen Fachleuten, ihre Entwürfe zu überarbeiten und zu verbessern. KI beschleunigt die Feedbackschleife zwischen der Sammlung von Raumnutzungsdaten und einer Raumanpassung, um neue Arbeitsweisen optimal zu unterstützen.
Designer*innen bei Steelcase analysieren, wie sich der Einsatz von KI durch Mitarbeitende und Teams auf die Raumgestaltung auswirkt. Dazu betrachten sie die von Einzelpersonen und Teams benötigten privaten und gemeinsamen Räume. Wie viele Räume eines bestimmten Typs benötigt werden, richtet sich nach dem Bedarf im Unternehmen.
In den letzten drei Jahren hat Steelcase mit seiner Händlergemeinschaft eine KI-gestützte Datenanalysemethodik entwickelt, um die Arbeitsplatzgestaltung für Kunden und Designprofis zu erleichtern und zu beschleunigen.
Für das Data-Driven Design werden Daten aus Kundenaufträgen analysiert. Insgesamt wurden fünf Millionen Anwendungsfälle ermittelt. Diese werden zusammengetragen, um Muster zu identifizieren, wie Unternehmen heute ihre Räume gestalten. Anhand dieser Daten können die Steelcase Experten dann neue Trends in der Arbeitswelt frühzeitig erken- nen und umsetzen.
Die Analyse der Steelcase-Verkaufsdaten zeigt z.B. einen vielversprechenden Trend: Unternehmen erhöhen den Zugang zu Privatsphäre im Büro sowie zu einer Stromversorgung in Räumen zum Austausch und zur Zusammenarbeit. Allerdings beklagen die Mitarbeitenden einen Mangel an Räumen, die eine effektive virtuelle Zusammenarbeit ermöglichen, d.h. Räume mit benutzerfreundlicher Technologie für eine optimale Erfahrung der vor Ort anwesenden und externen Teilnehmenden.
„Dank KI und Data Science sind wir in der Lage, aus riesigen Datenmengen zu Arbeitsplätzen aussagekräftige Informationen zu gewinnen, damit unsere Kunden fundierte Designentscheidungen treffen können. So helfen wir ihnen, Räume zu gestalten, die für die Arbeitswelt von heute relevant und für die Zukunft anpassungsfähig sind,“ erklärt Jorge Lozano, Manager for Data Science and Digital Innovation bei Steelcase.
Testfeld neuer Raumtypen – der Immersive Multipurpose Room
Steelcase-Forschende und -Designer*innen testen neue Raumtypen, die verschiedene Arten der Zusammenarbeit verbessern – einschließlich der Arbeit mit KI. Der Prototyp eines Immersive Multipurpose Room (IMR) wird derzeit von mehreren Steelcase Teams getestet und evaluiert. Die großzügige, immersive Umgebung mit einem raumhohem Display bietet ein hohes Maß an Flexibilität. Die Forschenden analysieren, inwiefern immersive Räume den Menschen ein realistischeres Erlebnis vermitteln (z.B. ein virtueller Rundgang durch eine Betriebsstätte). Der immersive Raum unterstützt zudem die Erstellung und Bearbeitung digitaler Daten und die Visualisierung großer Datenmengen. Die Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass immersive Räume künftig ein wichtiger Bestandteil eines KI-gerechten Arbeitsplatzes sein werden.
4. Makro-Trend: Mangelware Wohlbefinden
Psychische Erkrankungen sind weltweit auf dem Vormarsch – und sind für Unternehmen gravierender als körperliche Erkrankungen. Die rapide Zunahme von Angststörungen, Depressionen, Burnout und Einsamkeit, insbesondere bei der jüngeren Generation, hat Einfluss darauf, wie die Voraussetzungen für gute Arbeitsergebnisse gestaltet werden. Beruflicher Stress kann einerseits die genannten Probleme auslösen, aber Arbeit und Arbeitsort können zugleich Teil der Lösung darstellen.
Laut einer Steelcase-Studie bevorzugt die Mehrheit der Mitarbeitenden das Büro
für Zusammenarbeit d.h. Co-Creation sowie Ideenfindung und für Besprechungen, die sowohl zum Informationsaustausch als auch der Entscheidungsfindung dienen. Wenn die Mitarbeiter jedoch zur Zusammenarbeit ihren Schreibtisch nicht verlassen, entgehen ihnen und dem Unternehmen die Vorteile, die sich aus dem persönlichen Miteinander ergeben.
Die Steelcase Forschungsergebnisse zeigen, dass ein Mangel an sozialen Kontakten zu Ängsten, Depressionen und Einsamkeit führen kann. Die Zunahme an bildschirmgestützter Interaktion ist ein Schlüsselfaktor, den Designer*innen künftig bei der Gestaltung von Büros berücksichtigen müssen. Es ist eine echte Herausforderung, eine Atmosphäre von Energie, Miteinander und Produktivität zu schaffen, wenn die Mitarbeitenden nicht vor Ort anwesend und stattdessen permanent vor dem Bildschirm sind.