Intelligentes Verkehrsmanagement in Gebäuden
Elektronische Gebäudeleitsysteme sorgen für einen geordneten Personenfluss und den effizienten Einsatz vorhandener Aufzugsanlagen. Auf diese Weise kommen selbst in komplexen Gebäuden alle Menschen schnell ans Ziel. Die „Port“-Technologie zeigt bereits jetzt, was in Zukunft möglich ist.
Wenn John Mizon über Verkehrsmanagement erzählt, kommt er schnell auf die Concorde zu sprechen. Das legendäre Überschall-Flugzeug brauchte für den Flug zwischen Paris und New York etwa dreieinhalb Stunden – halb so lange wie andere Passagiermaschinen. Die Zeitersparnis war ein wichtiges, wenn nicht gar das entscheidende Argument, den deutlich teureren Flug mit der Concorde zu wählen. „Was die Leute in dieser Rechnung allerdings nicht bedachten“, sagt John Mizon, „die Flugzeit ist nur ein geringer Teil der gesamten Reisezeit.“ Der Weg zum Flughafen, die Wege dort, Check-In, Sicherheitskontrollen, Boarding – das alles kostet Zeit. So viel Zeit, dass die drei eingesparten Stunden Flugzeit gar kein so beeindruckender Gewinn mehr sind. Dasselbe sei, so Mizon, auch in Gebäuden der Fall.
Verkehrsfluss-Planung
in Gebäuden
Bisher beschäftigte man sich meistens mit der Frage, wie die Menschen schnell von der einen Etage in die nächste kommen. Schon bei der Planung des Verkehrsflusses in Gebäuden denken Architekten häufig nur in der Kategorie der Vertikalität. Dabei ist doch analog zu Mizons Concorde-Beispiel eine andere Frage viel grundlegender: Wie bringe ich einen Gebäudenutzer effizient, schnell und sicher von A nach B? Die Frage von oben und unten ist dieser nachgeordnet. „Was nützt mir das schnellste Flugzeug der Welt, wenn ich auf dem Weg zum Flughafen im Stau stehe“, fragt John Mizon. „Was bringt mir ein Hochgeschwindigkeits-Aufzug, auf den ich lange warten muss?“
Mizon beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit diesen Fragen. Er ist einer der Köpfe hinter der „Port“-Technologie, dem Verkehrsmanagementsystem des Aufzugherstellers Schindler. Dieses System erweitert den Fokus von der vertikalen Fahrt auf den Verkehrsfluss des ganzen Gebäudes. Der Grundgedanke: Der Personenverkehr in einem Gebäude wird effizienter, wenn jedem Nutzer ein individueller Weg ermöglicht wird. Was sich anhört wie eine schöne Utopie, ist bereits in vielen Gebäuden der Welt Realität. Der höchste Wolkenkratzer Hong Kongs, das 2010 eröffnete International Congress Center, war eines der ersten Gebäude, in denen diese Technologie zum Einsatz kam. Nicht nur, dass die Personen in dem 484 m hohen Gebäude dank „Port“ schnell zum Ziel kommen. Jährlich werden zudem 85.000 kwh Strom eingespart – allein dadurch, dass das System die Hälfte der Aufzüge in Zeiten mit wenig Verkehr stilllegt.
Individuelle Reise durchs Gebäude
Um die Idee hinter „Port“ zu verstehen, muss man sich zunächst vergegenwärtigen, dass Aufzüge insbesondere bei hohem Verkehrsaufkommen oftmals das Nadelöhr in Gebäuden sind. Das große Manko von konventionellen Aufzugssteuerungen besteht darin, dass die Nutzer ihr Ziel erst angeben, wenn sie bereits in der Kabine sind. Wäre dies bereits vor dem Betreten der Kabine der Fall, könnte jenen mit einem gemeinsamen Ziel derselbe Aufzug zugewiesen werden. Mit dieser Überlegung war die sogenannte Zielrufsteuerung geboren, die unter dem Namen „Miconic10“ 1992 von Schindler auf den Markt gebracht wurde.
Nutzer vor der Fahrt auf verschiedene Aufzüge zu verteilen, vermeidet Zwischenstopps. Alle kommen schneller ans Ziel und es wird weniger Energie verbraucht. Noch effizienter kann das System allerdings arbeiten, wenn sich die Nutzer identifizieren. Das war die Idee von SchindlerID, der zweiten Generation der Zielrufsteuerung, die 2000 eingeführt wurde. Wenn jeder Passagier über ein Identifikationsmedium – wie zum Beispiel eine Karte – verfügt, dann kann der Zutritt auch für jeden individuell geregelt werden. Das erhöht die Orientierung und Sicherheit in einem Gebäude. Von da aus war es nur ein weiterer Schritt zum Verkehrsmanagementsystem: Was für den vertikalen Transport gilt, kann auch auf den Personenfluss im gesamten Gebäude angewendet werden: Jeder Nutzer soll auf individuelle Weise schnell und sicher durchs Gebäude geleitet werden.
Aber wie funktioniert das in der Praxis? Dreh- und Angelpunkt für die Nutzer ist das so genannte „Port“, das Personal Occupant Requirement Terminal. Dahinter verbirgt sich ein kleines Terminal mit Touchscreen, Mikrofon, Lautsprecher und Kartenleser – eine Art Tablet-Computer, der an der Wand oder auf einem eleganten Fuß im Raum installiert ist. Ein Aktivitätssensor schaltet die Anlage an, sobald sich jemand dem Gerät nähert. Nach der Identifikation durch eine Chipkarte bietet der personalisierte Bildschirm dem Nutzer verschiedene Optionen an. Welche das sind, kann vom gegenwärtigen Standort, Tageszeit und Wochenzeit, dem gewünschten Ziel und natürlich der Person selbst abhängen. Das System registriert die Gewohnheiten der Nutzer und lernt.
Wenn Max zum Meeting muss
Ein Beispiel: Wenn Max Mustermann
jeden Morgen mit dem Aufzug in die sechste Etage fährt, weil sich dort sein Büro befindet, wird das System ihm auch diese Option anbieten, wenn er morgens in der Lobby eintrifft. Da Max Mustermann aber hin und wieder auch an
Wochenenden zu Meetings ins Gebäude kommt, zeigt ihm das „Port“ samstags und sonntags Morgen als Erstes die
fünfte Etage an, in der sich die Meetingräume befinden. Anders ist es natürlich, wenn Max in der sechsten Etage an das Terminal tritt. Dort bietet ihm das System in der Mittagszeit das zweite Stockwerk an, wo er meist in der Kantine isst. Doch was ist, wenn Max entgegen aller Gewohnheit mittags nicht in die zweite Etage will? Was, wenn er um 13 Uhr im achten Stock zu einem außerordentlichen Meeting erwartet wird? Kein Problem, er wählt einfach die achte Etage als Ziel. Dazu braucht er das „Port“ nicht einmal zu berühren. Sobald er seine Chipkarte an das Terminal hält, laufen die möglichen Ziele der Relevanz nach durch. Erscheint die Acht, zieht Max die Karte weg und damit ist das Ziel gewählt. Innerhalb einer Zehntelsekunde teilt ihm dann das System, das den fortschrittlichsten Steuerungsalgorithmus auf dem Markt nutzt, einen Aufzug zu.
Die persönliche Identifikation erlaubt es nicht nur, auf Nutzergewohnheiten zu reagieren. Mit ihr lässt sich auch der Zutritt zu bestimmten Etagen regeln. So darf etwa Max Mustermann nicht in die siebte Etage fahren. Dort befinden sich die Büroräume eines anderen Unternehmens, zu denen er keinen Zutritt hat. Und wenn er sich beim Betreten des Gebäudes nicht identifiziert, sind sämtliche Aufzüge und die Tür zum Treppenhaus für ihn nicht zugänglich. Das System kann dabei an bereits bestehende Zugangsschranken in einem Gebäude angeschlossen werden. Ebenso lässt es sich problemlos an installierten Aufzügen unterschiedlicher Hersteller nachrüsten.
Energieeinsparungen
im ganzen Gebäude
Wenn sich alle Nutzer identifizieren, wird das Gebäude aber nicht nur sicherer, sondern auch sparsamer. Dadurch, dass jederzeit ersichtlich ist, wie viele Personen sich in einer Etage aufhalten, könnten beispielsweise Lampen und Klimaanlagen bedarfsgerecht auf den einzelnen Stockwerken betrieben werden: Wenn gerade keiner in der jeweiligen Etage ist, geht die Flurbeleuchtung eben aus. Weil das System die Nutzungsgewohnheiten kennt, können bei geringem Verkehrsaufkommen Aufzüge stillgelegt werden, ohne dass der Komfort für die Fahrgäste sinkt. Oder es werden in Stoßzeiten bestimmte Etagen mit geringem Fahrgastaufkommen nicht mehr bedient. Auf diesen Etagen erläutert das System den Nutzern, wie sie alternativ über Rolltreppen und Treppenhaus ihr Ziel erreichen. Eine solche Route würde einem Nutzer mit Gehbehinderung nicht vorgeschlagen werden – schließlich wird diese Information bei der Identifizierung berücksichtigt.
„Das System schickt Sie nicht weg, sondern liefert Ihnen eine Information, die Ihnen weiterhilft“, sagt der Verkehrsmanagement-Experte John Mizon. Die Möglichkeiten, die die Technologie dabei biete, seien noch lange nicht ausgeschöpft. Bei dem Schindler „Port Office Trim“ etwa, einem neuartigen Türschloss, benötigt man keinen Schlüssel mehr. Mit der Identifikation am System können auch die Türen im Gebäude automatisch ent- und verriegelt werden. Die Zeiten, in denen sich Bewohner versehentlich aussperren und für einen verlorenen Schlüssel mehrere Hundert Euro bezahlen müssen, gehören damit der Vergangenheit an. Auch wenn das System seine Vorzüge insbesondere in großen, komplexen Gebäuden ausspielt, ist John Mizon überzeugt, dass es jedem Gebäude, selbst kleineren Wohnhäusern, Vorteile verschafft. Im Shoppi Tivoli in der Nähe von Zürich findet die Technologie jetzt erstmals sogar in einem Einkaufszentrum Anwendung.