Sekundärprozesse
im Krankenhausbereich
Das Projekt „KlinKe- Klimaneutrale Sekundärprozesse im Krankenhaus“ der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin untersucht bereits seit 2021, unterstützende Tätigkeiten wie u.a. die Reinigung, die Technikwartung oder etwa das Catering in verschiedenen Krankenhäusern. Fragen des noch bis 2024 laufenden Projektes: Welche CO2e-Emissionen sind mit den sekundären Prozessen im Krankenhaus verbunden und welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um diese Prozesse weniger CO2e-intensiv zu gestalten?
Treibhausgasemissionen in Sekundärprozessen im Krankenhaus
Der Gesundheitssektor trägt mit rund fünf Prozent zum gesamten deutschen CO2e-Fußabdruck bei[1]. Insbesondere die dauerbetriebenen Krankenhäuser haben einen hohen Carbon Footprint. Vorhandene Programme, Initiativen und Studien zur Nachhaltigkeit im Krankenhaus fokussieren oft medizinische Kernprozesse eines Krankenhauses. Sie analysieren krankenhauseigene, direkte Emissionen aus Verbrennungsprozessen sowie Emissionen durch eingekaufte Energie (Scopes 1 und 2 nach dem Greenhouse Gas Protocol).
Untersuchungen zu Treibhausgasen in Sekundärprozessen von Krankenhäusern sind rar. Sekundärprozesse werden häufig durch Dritte erbracht und ihre Emissionen als Scope 3 (indirekte Emissionen aus der Wertschöpfungskette, z.B. eingekaufte Waren und Dienstleistungen) nach dem Berichtsstandard des Greenhouse Gas Protokoll nicht in der CO2e-Abschätzung der Krankenhäuser erfasst. Doch machen gerade diese einen Anteil von durchschnittlich 66% an den Krankenhaus-Emissionen deutschlandweit aus[2]. Von den 12% der deutschen Krankenhäuser, die eine CO2e-Bilanz erstellen, berichtet laut einer Studie jedoch keines über Emissionen der Scope 3 Kategorie (Stand 2020)[3]. Aktuell ist die Tendenz zur Messung und Berichterstattung steigend. Es gibt jedoch keine etablierte Praxis. Demgegenüber steht der Bedeutungszuwachs der Klimaneutralität (siehe Infokasten Seite 19).
Hier setzt das Projekt „KlinKe- Klimaneutrale Sekundärprozesse im Krankenhaus“ der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin an. Als Sekundärprozesse sind unterstützende Tätigkeiten wie z.B. die Reinigung, die Wartung von technischen Anlagen oder das Catering zu verstehen. Ziel ist es zu untersuchen, welche CO2e-Emissionen mit den sekundären Prozessen im Krankenhaus verbunden sind und welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um diese Prozesse weniger CO2e-intensiv zu gestalten. Dabei wird das Change Management mitgedacht. Durch die Einbindung relevanter Stakeholder und eine adressatengerechte Kommunikation sollen die erforderlichen Veränderungen in den Sekundärprozessen erfolgreich angestoßen werden.
Erfolgsfaktor für das zwischen 2021 und 2024 laufende Projekt ist die praxisnahe Ausrichtung durch die Einbindung von 15 Projektpartnern aus Krankenhäusern, Servicegesellschaften sowie Verbänden und Initiativen. Ein im Rahmen des Projekts zu entwickelnder Leitfaden wird der Gesundheitsbranche die Möglichkeit bieten, ihren Krankenhausbetrieb auf das eigene CO2e-Einsparpotenzial zu untersuchen und entsprechende Maßnahmen umzusetzen.
Wesentliche Sekundärprozesse
Eine projektweite Wesentlichkeitsanalyse untersuchte Sekundärprozesse im Krankenhaus auf ihre Wesentlichkeit in Hinblick auf negativen (Klima-) Impact sowie auf Veränderungspotenzial. Dafür wurden zunächst Serviceprozesse auf Grundlage einer Literaturanalyse sowie Erfahrungen von Praxispartnern systematisiert. Resultat waren 43 Prozesse in 6 Clustern.
Eingeschätzt wurden für diese Prozesse Klima-Impacts und weitere negative soziale oder ökologische Auswirkungen wie z.B. Arbeitsbedingungen. Um Möglichkeiten und Grenzen unternehmerischer Verantwortung auf das Senken von Emissionen aufzuzeigen, wurde das Kriterium Veränderbarkeit aufgenommen[4]. Operationalisiert wurde dies mit technischer, hygienischer, rechtlicher, zeitlicher und kostenbezogener Veränderbarkeit.
Stakeholder für die Wesentlichkeitsanalyse waren Vertreterinnen und Vertreter aus der Gesundheitswirtschaft und Zivilgesellschaft der KlinKe-Projektgruppe (N=10 Institutionen mit 48 Personen, 66,6% Rücklauf). Das Scoring basierte auf Einschätzungen. Ergebnisse des Scorings wurden in der Projektgruppe diskutiert und verabschiedet. Darauf folgte eine Gruppierung von 12 Prozessen mit besonderer Wesentlichkeit (siehe Abbildung).
Am häufigsten vertreten sind Prozesse aus den Clustern „Reinigungs- und Hygienedienste“ und „Klinische Versorgungsdienste“ (je 4) dazu Verpflegungs- und Veranstaltungsdienste“ sowie „Klinikverwaltung und Logistik“ (je 2).
Dier Bereiche „Betrieb und Instandhaltung der Gebäudetechnik“ sowie „Supportleistungen in Sicherheit, Service und Security“ sind bei den Prozessen mit hoher Wesentlichkeit nicht vertreten. Tätigkeiten der Wartung, Instandhaltung etc. wurden mit einen vergleichsweise geringen, negativen (Klima-) Impact eingeschätzt, da Emissionen, die während der Nutzung der Geräte in den medizinischen Kernprozessen entstehen, den Sekundärprozessen nicht zugerechnet wurden.
Positiv zu würdigen ist die insgesamt recht hoch eingeschätzte Veränderbarkeit. Dies lässt sich ggf. mit der tendenziell veränderungsbereiten Zusammensetzung der Projektgruppe erklären.
Durch die Bestimmung der Wesentlichkeit ergibt sich im Projekt ein Handlungsbedarf für die Datenerhebung. Für die zwölf wesentlichen Prozesse wird mit Priorität in der Datenerhebung begonnen.
Datenerhebungen
Es gibt kaum Datenerhebungen zu Emissionen der Scope 3 Kategorie in Krankenhäusern. Erhebungen mit speziellem Blick auf die Sekundärprozesse sind bislang nicht bekannt.
Häufig werden Emissionen der Scopes 1 und 2 sowie die wenigen bekannten Scope 3-Berechnungen nach ökonomischer „top-down“- Modellierung vorgenommen, d.h. pauschal nach Kostenanteilen geschätzt. Ausgehend von der Prozessorientierung im Projekt KlinKe findet die Datenerhebung „bottom-up“ statt. Es werden, soweit möglich, spezifische Emissionen entsprechend der je Prozess genutzten Geräte, der Verbrauchsstoffe, der Mitarbeitermobilität und der prozessnahen Managementaktivitäten modelliert.
Potentiale für Optimierungen
Im Rahmen des Projekts werden auf Grundlage der o.g. Datenerhebungen anschließend Maßnahmen für die Reduktion der größten CO2e-Treiber der Sekundärprozesse identifiziert. In die Empfehlungen fließen Erfahrungen aus bereits umgesetzten Projekten der Praxispartner sowie Ansätze anderer Krankenhäuser ein. Gesammelt werden diese in einem Leitfaden, der zu Projektende als Orientierung für den Krankenhaussektor dienen soll.
Optimierungen können z.B. durch den Austausch von Produkten gegen Alternativen mit einem geringen CO2e-Fußabdruck (z.B. nachhaltigeres Material, geringerer Energieverbrauch) erzielt werden. Prozesse können hinsichtlich ihrer Abläufe bzw. ihrer Personaleinsätze optimiert werden. Maßnahmen können einzelne Teams, ganze Abteilungen, Schnittstellen in der Einrichtung oder die Organisation insgesamt betreffen. Schlüsselkomponente für die Umsetzung von Einsparpotenzialen ist der Mensch selbst. Ohne die Sensibilisierung der beteiligten Stakeholder (u.a. Mitarbeitende, Patient:innen, Lieferanten) für einen schonenden Umgang mit Ressourcen ist die erfolgreiche Umsetzung nicht möglich. Zudem besteht großes Potenzial darin, die Ideen der Mitarbeitenden für ihre jeweiligen Abteilungen sowie Erfahrungen aus dem Austausch mit anderen Institutionen in den Optimierungsprozess einfließen zu lassen.
Change Management
Wie kann Veränderung umgesetzt werden? Dies hängt von der Art der Veränderungen ab – ob z.B. ein einzelnes Produkt angepasst werden soll, ein Teilprozess oder ein größerer Zusammenhang. In der Regel kann man aber davon ausgehen, dass auch die Änderung kleinerer Aspekte ein passendes Change Management nötig macht.
Ein Krankenhaus ist eine sehr spezifische Organisation. Das Patient:innen-Wohl steht im Vordergrund. Alle anderen Aspekte, so auch die Emissionsgestaltung, sind diesem Wohl im Prinzip nachgeordnet. Weiter sind für die Umsetzung von Veränderungen strukturelle, einrichtungskulturelle, verhaltensbezogene und externe Bedingungsfaktoren zu beachten. Krankenhäuser gelten als „nicht-triviale Systeme“ für die Veränderung[5]. Ein Change-Konzept für emissionsbezogene Änderungen sollte diese Faktoren berücksichtigen. Ein erster Ansatzpunkt kann sein, die geplanten Veränderungen in bisherige Change-Erfahrungen einzubetten und daraus zu lernen. Ohnehin sollten sich die Änderungen in die Gesamt- und Nachhaltigkeitsstrategie des Krankenhauses und in die daraus entstehenden Lernprozesse einfügen.
Idealerweise verbinden sich bei der Gestaltung von Change Prozessen führungskräftezentrierte, „top-down“– Ansätze mit der Berücksichtigung von Mitarbeiterinteressen „bottom-up“. Beides verbindet sich im Sinne der Organisationsentwicklung zu einer kontinuierlichen Reflexion Beteiligter über das „Was“ und „Wie“ ihres Tuns in ihrem Arbeitskontext[6]. Interne und externe Kommunikation sind Schlüssel in Veränderungsprozessen. Gruppen- und Teamarbeit sind das zentrale Interventions-Medium in der Organisationsentwicklung. Teams sind selbst nicht nur Zielgruppe der Veränderung, sondern sie haben auch die Funktion eines sozialen Trägers des Entwicklungsprozesses[7]. In der Gruppe stehen Personen im Zentrum, sie sind produktiv, können auch Widerstände und Konflikte bearbeiten. Formen sind z.B. Projektteams oder Kleingruppen im Workshops und Schulungen.
Bei der Veränderung von Sekundärprozessen hat das Change Management oftmals interorganisationale Aspekte. Der Grund dafür: Viele Prozesse im Krankenhaus wie z.B. Betriebs- und Medizintechnik, Wäscherei, Reinigung oder Catering werden von krankenhauseigenen Servicegesellschaften oder externen Dienstleistern erbracht. Bei externen Services wird die Zusammenarbeit durch Verträge und Vereinbarungen geregelt, z.B. mit Code of conduct für die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards.
In bestehenden Verträgen kann eine Veränderung nicht zwingend angeordnet werden. Vielmehr muss es um die Entwicklung interorganisationaler Kooperationen gehen. Hier geht es dann nicht nur um die gelungene Integration von Führungskräften wie Mitarbeitenden in den Change Prozess. Zusätzlich kann es z.B. um das Ausbalancieren von Machtasymmetrien zwischen kleineren Partnern und Big Playern gehen sowie um das Zusammenbringen unterschiedlicher Strukturen, Logiken Unternehmenskulturen und Professionen[8]. Oftmals ist die klimafreundliche Gestaltung von Sekundärprozessen aber ein gemeinsames Anliegen von Krankenhäusern und Servicegesellschaften, so dass die Gestaltung von Veränderungsprozessen nicht nur Herausforderungen, sondern auch Chancen bietet.
Gründe für Treibhausgasmanagement in Sekundärprozessen im Krankenhaus
■ Notwendigkeit der weltweiten Treibhausgasreduktion wissenschaftlich belegt[i]
■ Politische Klimaschutzziele international) und national verschärft (z.B. deutsches Klimaschutzgesetz)
■ Regulatorische Anforderungen für die Umsetzung unternehmerischer Praktiken (z.B. Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz ab 2023) und zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Standardisierung und Ausweitung EU-Nachhaltigkeitsberichterstattung ab 2023)
■ Zunehmende Stakeholder-Forderungen an nachhaltiges Agieren von Unternehmen
■ Nachhaltigkeit als Chance für Business Cases von Unternehmen
[i] IPCC (2021): Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Summary for PolicymakersWesentliche Sekundärprozesse
Reinigungsdienst
Abfallentsorgung
Winterdienst
Sterilgutaufbereitung (ZSVA/AEMP)
Bettenzentrale
Wäscherei
Apotheke
Zentrallabor
Einkauf (Güter/Dienstleistungen)
Logistik (Mitarbeitende)
Speisenbeschaffung
Speisenbezogenes Abfallmanagement
Kernaussagen
■ Der Gesundheitssektor trägt in Deutschland mit 5,2 Prozent zum gesamten, deutschen CO2e-Fußabdruck bei.
■ Für Sekundärprozesse von Krankenhäusern und insbesondere Scope 3- Emissionen gibt es in Forschung wie Praxis kaum Kennzahlen zu Treibhausgasemissionen.
■ Als wesentlich erachtet werden in Hinblick auf (Klima-) Impact und Veränderbarkeit von den Stakeholdern Prozesse aus den Bereichen Reinigungs- und Hygienedienste, Klinische Versorgungsdienste, Klinikverwaltung und Logistik sowie Verpflegungs- und Veranstaltungsdienste.
■ Optimierungen können z.B. Produkte mit einem geringen CO2e-Fußabdruck, veränderte Prozesse/Abläufe und ressourcenschonendes Verhalten aller Einzelpersonen betreffen.
■ Da Sekundärprozesse oftmals durch externe Dienstleister erbracht werden, sind Veränderungsprozesse innerhalb dieser Konstellation zu gestalten. Dies ist Herausforderung und Chance zugleich, da Klimafreundlichkeit oft ein gemeinsames Anliegen beider Partner ist.