Das Evakuierungskonzept der Hamburger Elbphilharmonie

Rollen und retten

Für die Besucher der Hamburger Elbphilharmonie sind die Rolltreppen der „Tube” ein Erlebnis. Für die Planer waren die über 80 m langen bogenförmigen Anlagen Herausforderung und Chance zugleich. Anders als üblich können die Rolltreppen hier auch zur Evakuierung genutzt werden.

Die Elbphilharmonie ist in vielerlei Hinsicht ein herausragendes Bauwerk: nicht nur in ihrem ungewöhnlichen Äußeren, sondern auch in ihrer Technik und Konzeption. Der Entwurf der Basler Architekten Herzog & de Meuron machte an vielen Stellen außergewöhnliche technische Lösungen notwendig: angefangen von den geschwungenen Fenstern der Außenfassade über die Akustik der Konzertsäle bis hin zu den Bogenrolltreppen, die fluchtwegtauglich ausgeführt wurden.

Dazu kam die Aufgabe, dieses komplexe Multifunktionsgebäude – mit Konzerthaus, Plaza, 250-Zimmer-Luxushotel, Konferenz- und Wellnessbereichen, Gas­tronomie und Wohnungen – auf den zum Parkhaus umgebauten Kaispeicher A zu setzen, der sich über die unteren sieben der 26 Geschosse des Baus erstreckt.

Der Bau und seine Nutzer

Der gläserne Neubau beginnt im achten Geschoss mit der Plaza, dem Besuchergeschoss in 37 m Höhe. Der Bereich, der mit annähernd 4000 m2 Fläche etwa so groß wie der Hamburger Rathausmarkt ausfällt, liegt zwischen Speicher und Neubau und ist nicht zuletzt wegen des großartigen Ausblicks seit Eröffnung der „Elphi“ im November 2016 ein Besuchermagnet. Doch die Plaza dient nicht nur als touristische Attraktion, sondern ist auch als zentrales Zugangs- und Verteilergeschoss konzipiert. Dabei begrenzten die Planer die Zahl der Personen, ­die sich dort zeitgleich aufhalten können und daher gegebenenfalls evakuiert ­werden müssen, auf maximal 2500.

Das ist viel und wenig zugleich: Der Große Saal des Konzerthauses hat etwa 2100 Plätze, der Kleine Saal zählt bis zu 550 Plätze. Doch da die Konzerte in den Sälen nicht gleichzeitig beginnen, enden oder pausieren, hält sich das Publikum beider Säle nicht gleichzeitig auf der
Plaza auf. Der dritte Konzertsaal, das Kaistudio, wird nicht über die Plaza ­evakuiert.

Auch ist zu berücksichtigen, dass im Evakuierungsfall die Personenströme umgelenkt werden: Nutzer der Wohnungen, der Hotelzimmer und der Konzertsäle können das Gebäude über insgesamt 20 Fluchttreppenhäuser mit Druckbelüftung verlassen, von denen die meisten als sogenannte Schachteltreppenhäuser ausgeführt wurden, also zur Leistungssteigerung pro Etage zwei Treppenläufe übereinander kombinieren. Von diesen Anlagen sind allein sechs für die Evakuierung der Plaza ­vorgesehen.

Die Begrenzung auf maximal 2500 Plaza-Nutzer wird durch Zutrittskontrollen gewährleistet. Konzertgäste können in der Pause nur mit ihrer Konzertkarte auf die Plaza, Hotelgäste benötigen ihre ­Hotelkarte und Besucher eine Restaurantreservierung. Der Zustrom der Besucher von außerhalb wird durch Aus­gabe von Tickets gelenkt, die Zeitfenster für den Aufenthalt vorgeben, aber auch durch eine Personenzählanlage und Personal überwacht.

Die Nutzung der Rolltreppen

Die Architekten haben den vier Rolltreppen eine zentrale Funktion zur Erschließung des Gebäudes zugedacht. Über die beiden hell verputzten Zugangstunnel – die große und die kleine „Tube“, ausgestattet mit je zwei Anlagen – sollen Gäste, Besucher und Bewohner die Aussichts- und Verteilerebene der Plaza erreichen und wieder verlassen. „Dabei können die Anlagen das gesamte Verkehrsaufkommen zwischen Haupteingang und Plaza in beiden Richtungen bewältigen“, sagt Kone-Projektleiter Heiner Zeiger, der mit seinem Team die Anlagen entwarf. „Das gilt auch dann, wenn ein Teil der Besucher die Aufzüge, die nicht von Kone stammen, nutzt, um zur Plaza zu gelangen.“

Wer etwa sein Auto im Speicher der ­Elbphilharmonie abstellt, fährt von dort
mit den Aufzügen zunächst ins EG, um dann via Rolltreppe oder Aufzug die Plaza zu erreichen. Insgesamt fahren 21 der 29 Aufzüge des Gebäudekomplexes diesen Bereich an. Darunter sind fünf öffentliche Aufzüge zur Verbindung von Plaza und Eingangsbereich.

Geschwindigkeit und Antrieb

Auch für eine Totalevakuierung bieten beide Rolltreppenpaare genügend Leistung. Fahren alle vier Anlagen in eine Richtung, können sie innerhalb von acht Minuten das Maximum von 2500 Plaza-Nutzern abtransportieren. Dabei kann die Sicherheitszentrale das Fahrttempo erhöhen: von 0,3 m/s im Nachtbetrieb bzw. 0,5 m/s im Tagbetrieb auf die Maximalgeschwindigkeit von 0,63 m/s – so schnell wie nach Konzertende, wenn Besucher das Gebäude zügig verlassen möchten.

Die Stauräume an den Enden der Anlagen sind daher großzügig dimensioniert. Die Sockelbeleuchtung in den Antrittsbereichen dient der Orientierung. Die LED können zwischen Weiß, Rot und Grün wechseln (Ampelfunktion); ihre Leuchtleistung berücksichtigt die mögliche Fluchtwegfunktion.

Das gilt auch für die Antriebe, die für jede der beiden Bogenrolltreppen eine Gesamtleistung von 60 kW erbringen können. Das entspricht dem 7,5-fachen einer typischen „Kaufhausrolltreppe“ mit etwa 8 kW Leistung. Um die bei Betrieb auftretenden Lasten gleichmäßiger auf die mehr als 160 m lange Kette zu verteilen – sie bewegt die rund 400 Stufen einer Bogenrolltreppe –, verwendeten die Konstrukteure nicht wie üblich einen einzigen Antrieb. Vielmehr verteilten sie vier Motoren über das rund 80 m lange Rolltreppengerüst.

Reserven für den Ernstfall

So kann jede der beiden Bogenrolltreppen die hohen Lasten bewältigen, die bereits im Normalbetrieb auftreten: Steht auf jeder der knapp 200 sichtbaren Stufen ein Erwachsener (75 kg), sind gut 15 t Last zu bewegen.
„Tatsächlich ausgelegt wurden die Anlagen – ebenso wie das zweite, kleinere Rolltreppenpaar – für 120 kg pro Stufe und damit für 23 t Gesamtlast“, erklärt Projektleiter Zeiger. „Das bietet genügend Reserven für den Evakuierungsfall.“ Auch die Stufenkette wurde überdimensioniert ausgelegt: Fällt einer der vier Antriebe aus, kann die Anlage weiter sicher betrieben werden, ohne eine Überlastung befürchten zu müssen.

Bleiben die Stufenhöhen, die bei normalen Rolltreppen eher hoch ausfallen, hier jedoch durchweg unter dem typischen Wert von 230 mm bei 30 Grad Anlagen- Neigung liegen. Bei den Bogenrolltreppen variieren die Setzstufen-Höhen in Abhängigkeit vom Neigungswinkel der Anlage zwischen 56 mm (bei 8 Grad Neigung oben) bis 179 mm (bei 26,5 Grad Neigung unten). Auch die Stufen der folgenden Anlagen sind mit 170 mm bei 17,25 Grad Neigungswinkel fluchtwegtauglich.

Das Konzept wird verändert

2014 entschied man sich, anders als bis dahin vorgesehen, beide Rolltreppenpaare nicht mehr zur Evakuierung zu nutzen. „Wir hatten zunächst bis zu 2.500 Besucher auf der Plaza einkalkuliert, eingerechnet die Konzertbesucher“, erläutert Architektin und Hochtief-Senior-Projektmanagerin Heike Dölker. Bei schlechtem Wetter jedoch hätten sich die Personen – die Planer rechneten mit 1200 auf dem Außenumgang und 1300 im Innenbereich – nicht gleichmäßig im Innen- und Außenbereich des Platzes verteilt. Im Ergebnis hätten sich bis zu 2500 Personen im Innenbereich der Plaza aufgehalten, was einer Personendichte von mehr als zwei Personen pro Quadratmeter entsprochen hätte. „Das wäre zu voll geworden“, sagt Dölker. „Daher fiel gemeinsam mit der Kulturbehörde der Entschluss, aus Gründen des Nutzerkomforts die Zahl der Plaza-Nutzer auf 1200 Personen zu begrenzen.“ In diesem Falle werden nur die Treppenhäuser genutzt.

Was passiert, wenn...

Im Falle eines Brandes oder einer anderen Gefahrensituation im Bereich der Plaza werden die Rolltreppen auf Notstrom geschaltet, während die Sicherheitszentrale die Anlagen – je nach Art und Ort der Gefahrenquelle – durchlaufen lässt oder anhält, so das Konzept von Hochtief, Kulturbehörde und Brandschutzsachverständigem.

Wird die Plaza geräumt, laufen die abwärtsfahrenden, also vom Gefahrenherd wegführenden Rolltreppen durch; die hinführenden Anlagen werden abgeschaltet. Sollte die Gefahrenlage eine Sperrung des Eingangsbereichs notwendig machen, können die Anlagen genau andersherum geschaltet werden: Dann werden die abwärtslaufenden Anlagen abgeschaltet, die aufwärtslaufenden laufen weiter. „Denkbar ist auch, dass man das Konzept später noch einmal variiert und – wie nach Konzertende – alle vier Anlagen mit 0,5 m/s in eine Richtung laufen lässt, um die Kapazität zu steigern“, erklärt Zeiger.

Genau diese Schaltung ist bereits jetzt für mögliche Evakuierungen bei besonders hohem Besucheraufkommen vorgesehen. Denn bei Sonderveranstaltungen kann die Zahl der Plaza-Nutzer auf die gemäß Brandschutzkonzept zulässige Zahl von maximal 2500 Personen erhöht werden. Im diesem (hoffentlich nie eintretenden) Fall des Falles würden die Rolltreppen zusätzlich zu den Treppenhäusern zur Räumung genutzt.

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