Immobilienwirtschaft in der Pandemie am digitalen Scheideweg
Gut jedes vierte Unternehmen der Immobilienwirtschaft (27 %) investiert mittlerweile mehr als 5 % seines Jahresumsatzes in die digitale Transformation. Insbesondere der Vergleich im Zeitverlauf zeigt: Digitalisierungsinvestitionen sind in der Immobilienwirtschaft zu einer festen, signifikanten Größe aufgestiegen. Vor zwei Jahren lag der Anteil der Unternehmen, die mehr als 5 % ihres Umsatzes auf die Digitalisierung verwendeten, mit 14 % gerade einmal bei der Hälfte.
Gerade in der Corona-Pandemie zeigt sich, wie wichtig die Investitionen in Digitalisierung sind: Eine deutliche Mehrheit der Befragten (84 %) gibt an, dass ihr Unternehmen die Krisensituation ohne digitale Technologien nicht unbeschadet überstehen könne. Und knapp 80 % erwägen eine dauerhafte Ausweitung von Homeoffice und digitalen Meetings in ihren Unternehmen.
Das sind Ergebnisse der aktuellen Digitalisierungsstudie von EY Real Estate und dem Zentralen Immobilien Ausschuss (ZIA), Spitzenverband der Immobilienwirtschaft, die in diesem Jahr bereits zum fünften Mal in Folge erhoben wurde.
Für die Studie wurden im Sommer 2020 insgesamt rund 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von privatwirtschaftlichen wie auch öffentlichen Unternehmen mit Bezug zur Immobilie befragt.
„Die Auswirkungen der Pandemie sind für die Branche ein Lackmustest. Die Vorteile der Digitalisierung zeigen sich nun überdeutlich: sowohl den Marktteilnehmern, die in den vergangenen Jahren bereits vorangeschritten waren und nun profitieren, als auch jenen, die jetzt dringenden Nachholbedarf spüren. Die Branche steht momentan am digitalen Scheideweg“, sagt Christian Schulz-Wulkow, Leiter des Immobiliensektors bei EY in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Die gute Nachricht ist der insgesamt steigende Reifegrad der Branche: Fast die Hälfte der Befragten befindet sich nach eigenen Angaben bereits in der Etablierungs- und 39 % in der Entwicklungsphase der digitalen Transformation.
„Während in den vergangenen Jahren Experimentierfreudigkeit und zuletzt Prozesseffizienz im Fokus der Digitalisierungsbemühungen standen, geht es in der Krise teils um die Existenz. Ganze Geschäftsmodelle werden infrage gestellt. Digitalisierung wird dadurch auch für vormals skeptischere Branchenteilnehmer von einer vermeintlichen Spielerei zum essenziellen Erfolgsfaktor“, sagt Martin Rodeck, Vorsitzender Innovation Think Tank des ZIA und Vorsitzender der Geschäftsführung der EDGE Technologies GmbH. So gaben 55 % der Befragten an, dass die Krise interne Digitalisierungsdefizite aufgezeigt habe.
Personalmangel bleibt
schwierigste Herausforderung
Seit der ersten Erhebung der Digitalisierungsstudie im Jahr 2016 stellen fehlende personelle Ressourcen Jahr für Jahr die größte Hürde für die Digitalisierung dar – das geben auch in der diesjährigen Befragung 72 % der Teilnehmer an. Während in Bezug auf qualifiziertes Personal jedoch kaum Fortschritte zu erkennen sind, zeigen sich in anderen Bereichen positive Entwicklungen: Nachdem in den Jahren 2016 bis 2018 viele Studienteilnehmer eine fehlende Digitalisierungsstrategie als Herausforderung sahen, scheint diese Hürde seit 2019 gesunken zu sein. Auch der Datenschutz wird heute als geringere Hürde angesehen als noch in den Jahren zuvor.
Nachholbedarf
bei Grundlagentechnologien
Hohe Kosten für den Aufbau der IT-Infrastruktur führen bei 52 % der Studienteilnehmer dazu, dass Maßnahmen lediglich auf das unbedingt Notwendige begrenzt werden.
Immerhin 51 % sehen sich zudem durch Themen wie IT-Sicherheit gebremst. Die vollumfänglichen Möglichkeiten von Soft- und Hardware sind nur 51 beziehungsweise 48 % der Studienteilnehmer bekannt. „Bei der IT-Infrastruktur herrscht noch Nachholbedarf. Da diese jedoch die absolute Grundlage aller digitalen Technologien darstellt, drängt die Zeit, den Rückstand aufzuholen“, sagt Rodeck. „Die IT-Infrastruktur wird sonst zum limitierenden Faktor selbst für die beste Idee.“ So nutzen derzeit nur 38 % der Studienteilnehmer Data Analytics aktiv. Zudem gab die Hälfte der Befragten an, sich nicht ausreichend mit diesem Thema auszukennen.
ESG ohne Digitalisierung
nicht denkbar
Eine herausgehobene Stellung schreiben die Studienteilnehmer der Digitalisierung bei den als „ESG“ (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) umschriebenen Nachhaltigkeitsbestrebungen zu. Sie ist der Schlüssel für eine professionelle Umsetzung der ESG-Richtlinien, meinen 84 % der Befragten. Daten und deren Auswertung sind für 87 % der Teilnehmer die Basis für ein professionelles ESG-Management.
„Die Potenziale digitaler Technologien und Anwendungen etablieren sich immer mehr auch als wertstiftendende Treiber im Rahmen einer erfolgreichen ESG-Strategie. Eine solide Datenbasis ist die Voraussetzung, um ESG-Vorgaben wie etwa die Reduktion von Verbräuchen und Emissionen überprüfen zu können – ohne Digitalisierung lassen sich die Klimaziele nicht erreichen!“, sagt Schulz-Wulkow.