Automatisierung, Digitalisierung und Servicerobotik
Nachhaltigkeit und Digitalisierung werden derzeit von Marketing- und Vertriebsabteilungen aufgegriffen und an die Spitze der Bewegung in der jeweiligen Branche gestellt. Vorreiter und Ideengeberrollen werden hier leider meist wenig reflektiert und von den beteiligten Marktakteuren euphorisch diskutiert. Gerade im FM-Marktumfeld, das einem permanenten nach unten gerichteten Preiswettbewerb unterliegt, klammern sich die Marktteilnehmer an potenzielle Auswegszenarien.
Wo Euphorie herrscht, kann auch eine tiefe Ernüchterung, ja sogar Enttäuschung folgen. Für neue markt- und kundenorientierte Services im FM müssen zunächst möglichst konkrete Erwartungen an die Anbieter von Automatisierung, Digitalisierung und Servicerobotik formuliert werden. Gleichzeitig sollten die klassischen FM-Dienstleister für die eigenen Organisationen aufzeigen, welche eigenen Anstrengungen sie in diesen Technologie-Bereichen unternehmen, um sich in dieser zum Teil neuen Welt zu positionieren. In der Konsequenz kann die Technisierung in einigen Anwendungsfeldern durchaus positive Wirkung entfalten. Zuerst müssen die Dienstleister aber wissen, wohin sie wollen. Machen sich die Branchenvertreter dies nicht klar, so kann es passieren, dass die Technisierung wie andere Initiativen der Branche zu einem diffusen Trend verkommt, unter dem sich niemand konkret etwas vorstellen kann: Alle wissen, es ist etwas Gutes, aber niemand kann sagen warum und für wen. Das Zitat von Alfred Herrhausen „Denken, Ordnen, Handeln“ ist auch in diesem Zusammenhang ein guter Ratgeber für die Befassung mit den
Megatrends der Technisierung.
Auf der Suche nach Selbstheilungskräften
Die Branche hat in den letzten Jahren immer wieder auf Selbstheilungskräfte des Marktes gesetzt, induziert durch die Beschäftigung mit den gerade aktuellen Megatrends in Gesellschaft und Gesamtwirtschaft. Gute Beispiele für diesen Mechanismus sind die integrierte Prozessverantwortung („Alles aus einer Hand“), die Nachhaltigkeitsinitiativen und die Sicherheit durch wahrgenommene Betreiberverantwortung. Diese
Instrumente sollten als Medikation positive Wirkung erzielen: Sie sollten den FM-Markt stärken, das Vertrauen in die Service-Qualitäten wieder herstellen/erhöhen und aus dem ruinösen Preiskampf in den klassischen Services herausführen.
Leider wirkt die bisher verabreichte Medizin nicht wie gewünscht auf die Indikatoren der komplexen Dienstleistungsqualität von Facility Services, auch wenn vereinzelt positive Effekte erzielt wurden. Branche und Dienstleister waren stellenweise zu wenig konkret und haben es versäumt, objektivierbare Aspekte stärker heraus zu arbeiten, die für die ganze Branche einheitlich wirken können.
Objektivierbare Mindsets fehlen
Unternehmen und Kunden von Facility Services fehlt zum Beispiel bei der Einschätzung und Beurteilung der vereinbarten Dienstleistungen ein objektivierbares und transparentes Mindset über die Qualitätsindikatoren. Auch die Vereinbarung von SLAs hat das Problem nicht lösen können: Die Qualitätseinschätzungen von Facility Services und Management Dienstleistungen sind weiterhin in hohem Maße subjektiv und erfolgen zum Teil unter Hinzuziehung sehr stark emotional geprägter Kriterien. Im Übrigen herrschen im Rahmen der Erbringung der Services sowie der Prüfungen der Qualitäten durch den Kunden des ganzheitlichen Dienstleistungsprozesses so viele Imponderabilien vor, dass eine akzeptierte und belastbare Qualitätsoffensive im FM schwierig erscheint.
Vor dem Hintergrund der Erfolgsmeldungen der Digitalisierung aus dem Bereich Industrie 4.0 herrschen auch im FM hohe Erwartungen an den IT-dominierten Megatrend Digitalisierung und die Technisierung. Grund zur Euphorie wäre tatsächlich geboten, sollte es gelingen, dass die Technisierung den Weg zu transparenten, belastbaren und weitgehend objektiv kontrollier- und steuerbaren Qualitätseinschätzungen der zwischen Unternehmen und Kunden vereinbarten Facility Services bereitet. In diesem Fall würde eine win-win-Situation durch die Digitalisierung geschaffen werden, die zum Vorteil der Unternehmen gereichen und dem Kunden nutzen würde. Der Ausweg aus der nach unten gerichteten Preisspirale bei Facility Services wäre möglich.
Alle Akteure im FM wären gut beraten, die Erwartungen nicht zu hoch anzusetzen und Euphorie zunächst zu vermeiden. Vor einer Revolution der Facility Services und des Facility Managements durch Digitalisierung sehe ich die Branche nicht, wohl aber durch die Technisierung-Push Automation und Servicerobotik.
Die drei Evolutionsstufen der
Digitalisierung
Digitalisierung ist im FM im Übrigen nicht neu, denn dank CAFM sind digitale Objektakten für kaum ein größeres Unternehmen unbekannt. Der Online-Datenaustausch zwischen dienstleistenden Unternehmen und Kunden gehört zum Alltag.
Nach den Produktivitäts- und Wertschöpfungseffekten durch CAFM-Einsatz befragt, antworten über 50 % der
befragten Kunden, dass die erhofften Wirkungen wie Erhöhung der Prozesssicherheit und -qualität, Zeitersparnisse und Kostenreduktion nicht eingetreten sind. Im Gegenteil seien die Dateneingabe, -transformations- und -pflegeaufwände unterschätzt worden. Wenn Daten in Form von Informationen mittels Digitalisierung ausschließlich in einen anderen Zustand transformiert werden, also von Papierdokumenten in digitale Daten oder von 2D-Informationen in 3D, ist der Nutzen hinsichtlich Qualität, Kosten und Zeit oft nicht belastbar nachzuweisen. Oft überwiegen sogar die Transformationskosten und hinterlassen dadurch beim Kunden eine Ernüchterung hinsichtlich der Wirksamkeit dieser ersten Evolutionsstufe der Digitalisierung.
Das Zukunfts- und Trendforscherteam beim Kompetenzzentrum Bau, Immobilien und Facility Management an der Beuth Hochschule bezeichnet als zweite Evolutionsstufe den Einsatz und die Anwendung von IT- und/oder technikgestützten Assistenzsystemen. Sie sollen Arbeitsprozesse vereinfachen, sicherer und transparenter machen und in der Folge auch Kosten reduzieren und Zeitersparnisse realisieren.
Die CAFM-Anbieter haben diese Nachfrage von Seiten der Kunden und FM-Unternehmen erkannt und entwickeln, basierend auf Datenbanken, IT-gestützte Assistenzfunktionen für die Nutzer der Software. Hier können z.B. Prozesskosten für die Ausschreibungsvorbereitung eingespart werden, vorausgesetzt, alle Daten liegen in aktueller Form in der Datenbank vor. Die Einspareffekte gegenüber der klassischen Vergabepraxis sind jedoch marginal. Im Übrigen kommt hierbei das Problem auf, dass über 100 verschiedene CAFM-Lösungen am Markt bestehen. Für größere FM-Unternehmen bedeutet dies, Daten über die erbrachten Services in über 100 verschiedene Systeme transformieren zu müssen.
Die jüngste Untersuchung des Kompetenzzentrums zeigt, dass auch die Assistenzsysteme zur Durchführung von Verkehrssicherungsprüfungen im Sinne der Betreiberverantwortung nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen. Von sechs untersuchten Software-Lösungen konnte kein System maßgebliche Mehrwerte für eine rechtssichere Prüfung und Dokumentation generieren. Weiterhin ist Fachpersonal für die Prüfungen erforderlich, das auch abseits der vorhandenen Software-Assistenzen prüfen und dokumentieren muss.
Gerade im TGM und der Gebäudeautomation wird den Kunden seit Jahren versprochen, dass die mit IT-Messgeräten ausgestatteten technischen Gebäudeausrüstungen und deren Vernetzung über eine GLT-Steuerung eine funktionierende Assistenzfunktion darstellt. Optimale Fahrweisen von Energiewandlern und Betriebszustände im Gebäude würden automatisch hergestellt. Dadurch könnte der Einsatz von Technikern reduziert werden.
Auch hier zeigt die Praxis an vielen Beispielen ein ernüchterndes Bild: Es bleibt bei hochtechnisierten Gebäuden eine ständige Herausforderung der Verantwortlichen, den optimalen Betriebszustand des Gebäudes, der technischen Anlagen und der Steuerungen herzustellen. Dabei gilt es auch, die Funktionsweisen der GLT auf ihre effektive und effiziente Steuerung hin zu überprüfen. Hierfür müssen die steuerungsrelevanten Daten ermittelt, gespeichert, verarbeitet und ausgewertet werden, die nicht per se den aufgeschalteten Messstellen entsprechen müssen. In vielen modernen Gebäuden muss erst untersucht werden, welche Messstellen entscheidungsrelevante Daten liefern. Zusammen mit dem zum großen Teil unkalkulierbaren Nutzerverhalten in Gebäuden und dem Umstand, dass verschiedene Nutzungszustände des Gebäudes (z.B. Regel- und Eventprofile) unterschiedliche Fahrweisen erfordern, macht aus der Suche nach der optimalen Betriebsführung zu jeder Zeit eine höchstkomplexe Aufgabe. Die Forschungsergebnisse aus den Projekten „Forschung EnergieEffizienzLücke Real Estate“ (IFAF Berlin) und „ModEnCo – Modellbasiertes Energiecontrolling“ (AIF-IGF) sprechen hier eine deutliche Sprache: Die vorhandenen hybriden IT- und technikgestützten Assistenzsysteme im Bereich der TGA und TGM sind zwar in der Lage zu steuern. Für die tägliche Erreichung optimaler Betriebszustände ist jedoch eine hochqualifizierte Leitwarte mit ausreichend kontrollierenden und steuernden Technikern erforderlich, die weiterhin vorhandene Informationsdefizite an entscheidungsrelevanten Daten bei gleichzeitigem Überangebot an Einzelmesswerten in sich dynamisch verändernden Nutzungsbedingungen beherrschen müssen. Die Leistungsversprechen der zur 2. Evolutionsstufe der Digitalisierung zählenden Assistenzsysteme der Anbieter erzielen nicht die erwünschten Ergebnisse. Die Unternehmensseite muss hart daran arbeiten, die vorhandenen Assistenzsysteme der zweiten
Evolutionsstufe zu reparieren und zu optimieren. Dadurch können Optimierungspotenziale in den Bereichen Betreiberverantwortung und Technische Gebäudeausrüstung sowie TGM und Automatisierung gehoben werden, die hohen Kundennutzen generieren. Bereits diese Reparaturdienste stellen eine sehr ehrgeizige Herausforderung für die Unternehmensseite dar.
Produktiver durch KI
Die großen Mehrwerte und Produktivitätssprünge für FM-Unternehmen und Kunden vermuten wir in der 3. Evolutionsstufe der Digitalisierung, die autonome und selbstlernende Assistenzsysteme und Servicerobotik nutzt. Der Weg zu diesen Lösungen, die der künstlichen Intelligenz (KI) zugerechnet werden, ist für die FM-Branche jedoch weit und erfordert Anstrengungen, die die Möglichkeiten der Branche aus Sicht der Beuth-Zukunftsforscher überfordern. Die Entwicklungskosten für wirksame Assistenzsysteme liegen im zweistelligen
Millionenbereich.
Im Forschungsprojekt „ModEnCo – Modellbasiertes Energiecontrolling“ (AIF-IGF) wird aktuell mit der Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik (GFaI) und der TU München sowie zwölf kooperierenden Unternehmen der Auftraggeber- und Auftragnehmerseite im FM ein Softwaredemonstrator zur Gewährleistung der optimalen Betriebsführung zu jedem Zeitpunkt und in Echtzeit für Energiesysteme von Gebäuden entwickelt. Die Gesamtentwicklungskosten inkl. bereitgestellter Vorprodukte sind auch hier im zweistelligen Millionenbereich angesiedelt und das Projekt stellt eine ehrgeizige Herausforderung dar. Der Grund dafür liegt
u. a. darin, dass bereits zum jetzigen Zeitpunkt feststeht, dass nicht alle
Prozessschritte automatisiert und
digitalisiert werden können und das KI-Assistenzsystem für den energetischen Betrieb von Gebäuden und Anlagen den zusätzlichen Einsatz von hochqualifizierten Technikern mit hohem IT-Verständnis erfordern wird. Der Mensch wird insofern durch die Digitalisierung immer wichtiger.
Das Forscher- und Entwicklerteam unter der Leitung von Prof. Dr. Manfred Hild des Labors Neurorobotik an der Beuth Hochschule für Technik Berlin arbeitet u.a. an dem autonomen Robotersystemen, die die heute kaum vorstellbaren Grenzen technischer Lösungen verschieben. Weltruf hat der Myon-Roboter erlangt, der modular und humanoid aufgebaut ist, der während der Laufzeit demontiert und wieder zusammengesetzt werden kann. Er besteht aus sechs Körperteilen (Kopf, Torso, zwei Armen, zwei Beinen), ist 1,25 m groß und wiegt etwa 16 kg, inklusive der Schalen. Myons Hardwaredesign, Platinen, Steuerungsoftware und der Großteil der mechanischen Teile wurden innerhalb des Forscherteams um Prof. Hild konzipiert und realisiert (www.neuro-robotik.de). Die äußere Erscheinung wurde vom Designbüro Frackenpohl Poulheim entworfen und von Bayer MaterialScience (seit 2015 firmiert das Unternehmen als Covestro) umgesetzt. Entwicklungen wie der Roboter Myon zeigen, dass die Fortschritte der Technisierung in naher Zukunft bisher vom Menschen erbrachte standardisierbare Facility Services übernehmen können.
Laut der aktuellen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit liegen Substitutionspotenziale signifikant in den Querschnitts- und Verwaltungsbereichen aller Branchen und so auch der FM-Branche vor. Ca. 15 % sind danach einem hohen Substitutionspotenzial durch automatisierte/digitalisierte Prozesse und Produkte ausgesetzt. Betroffen sind administrative Tätigkeiten, die ohne direkten Bezug zur Dienstleistung an den Facilities des Kunden sind und von MitarbeiterInnen des mittleren bis gehobenen Bildungsgrades ausgeführt werden. Die niedrigen Bildungsgrade in den operativen Ebenen sind davon unberührt. In den administrativen Bereichen können laut der Studie mehr als 70 % der Arbeiten von Technik/ Computern und automatisierten/ digitalisierten Prozessen ersetzt werden.
Der Mensch als zentraler
Entscheider und Problemlöser
Die Untersuchungen des Forscherteams der Beuth Hochschule zeigen, dass die Automatisierung und Digitalisierung in jeder Evolutionsstufe auf den Menschen als Beobachter, Evaluierer und Prüfer, Tester sowie Steuerer zwingend angewiesen ist. Je höher die Evolutionsstufe, desto besser ausgebildete MitarbeiterInnen sind gefordert, den Gesamtprozess der Dienstleistung maßgeblich mitzugestalten. Autonome, den Menschen in Facility Services und Facility Management Prozessen ganzheitlich ersetzende automatisierte und digitalisierte Lösungen gehören mit heutigem Wissen dem Reich der Phantasie an. Mittel- bis langfristig werden Facility Services zunehmend durch technische Lösungen erbracht werden, das Facility Management wird weiterhin menschlicher Arbeit bedürfen.
FM muss flexibel reagieren
Erfolgreiche Automatisierungs- und
Digitalisierungsprojekte können heute ausschließlich auf Digitalisierung spezialisierte Meta-Medienkonzerne wie Alphabet (Google) und Internet-Konzerne wie Amazon vorweisen sowie die kapitalstarken Branchen Automotive und Anlagenbau. Forschungseinrichtungen und -institute wie das Forschungslabor Neurorobotik von Prof. Dr. Manfred Hild an der Beuth Hochschule für Technik setzen ebenfalls Akzente in diesem Bereich.
Der FM-Branche fehlen in erster Linie die notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen, die notwendig sind, um erfolgreiche Automatisierungs- und Digitalisierungsprojekte der 2. und 3. Evolutionsstufe durchzuführen.
Vor diesem Hintergrund muss die Branche sehr wachsam sein, was in den Think Tanks und F&E-Abteilungen der IT- und Technikkonzerne in Sachen
Servicerobotik, Automatisierung und Digitalisierung entwickelt wird. Der aus dieser Richtung zu erwartende Technik-Push wird die FM-Branche verändern. Vor diesem Hintergrund ist es von enormer Bedeutung für FM-Konzerne, strategische Allianzen und Kooperationen mit den Digitalisierungstreibern einzugehen und Forschungskooperationen mit den Hochschulen zu suchen. Die
Fa. Dussmann hat hier bereits einen Vorstoß mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart unternommen. Dussmann wurde hier aktiv in das Automatisierungs- und Digitalisierungsprojekt Care-o-bot eingebunden und partizipiert n von den Erfahrungen aus dem Projekt.
Trotz dieser vereinzelten aktiven Einbindung in die Technisierungsprojekte sehe ich die FM-Branche der großen Gefahr ausgesetzt, dass Verbände und Branchenvertreter die Automatisierung und Digitalisierung zwar als Megatrend aufgreifen, ohne aber für das Facility Management konkret zu formulieren, was wir darunter verstehen und wo wir sinnvolle Ansatzpunkte für die Hebung von Optimierungspotenzialen sehen.
Der FM-Markt wird mehrere externe Technologie-Push von Seiten der Meta-Medien, IT- und Internet-Konzerne
sowie Anlagenbauern erleben, die die klassischen Services bis hin zu Geschäftsfeldern der FM-Unternehmen teilweise oder ganz zu ersetzen versuchen. Hier kommt es darauf an, wie sich die Marktnachfrage (Market-Pull) entwickelt und was der Kunde bevorzugt. Die steigenden Arbeitslöhne sprechen dafür, dass zukünftige technische Lösungen zunehmend wirtschaftliche Vorteile gegenüber den klassischen lohnintensiven Services haben werden und damit ein hohes Substitutionspotenzial zeigen.