„FM und Nachhaltigkeit“ – Gibt es (neue) Entwicklungstendenzen?

FACILITY MANAGEMENT-Expertengespräch 2010

Nachhaltiges Bauen ist und bleibt das Dauerthema und ist zum bedeutendsten Innovationsmotor der Bau- und Immobilienbranche geworden. Zu den Nutzungsprofilen, die für Neubauten erfolgreich Anwendung finden, entwickelt die DGNB nun langsam die Zertifizierungsgrundlagen für das Nutzungsprofil „Modernisierung Büro- und Verwaltungsgebäude“ im Bestand. Darauf wartet die Branche schon lange. Die FM-Redaktion lud darum im Vorfeld der diesjährigen Consense nach Stuttgart ein, um mit Beteiligten des FM-Marktes auszuloten, was Investoren, Bauherren und Nutzer fordern? Und wie wichtig Zertifikate dabei sind?

Als Leiter der Arbeitsgruppe „Bestandsgebäude“ bei der DGNB führte Dipl.-Ing. Thomas Häusser von Drees & Sommer (das Gespräch fand in den Räumlichkeiten von Drees & Sommer statt) die Expertenrunde in das Thema zum aktuellen Stand der Zertifizierung im ­Bestand ein und wie die Kriterien und Bewertungsgrundlagen für jedes Nutzungsprofil konkret ausgestaltet werden.


Was hat sich im zurückliegen­den Jahr getan? Wo ste­­hen wir? Haben sich die Anforderungen der Kunden verändert?

Hutz: Für einige Kunden rechnet sich FM nicht. Für kleinere Kunden und Betreiber ist es ein erheblicher Aufwand, FM einzuführen. Man muss über Strukturen nachdenken, und das kostet erst mal viel Geld, bevor Ergebnisse erzielt werden. Es gibt kaum Kunden, die wirklich Nachhaltigkeit wollen.

Schmahl: Es hat sich schon etwas verändert. Es gibt Kunden, die bei ­Neubauten die Plakette als deutlichen Wettbewerbsvorteil sehen. Und es gibt z. B. Bewertun­gen von Fonds, bei denen Nachhaltigkeit eine deutliche Rolle spielt und bei denen Wert auf zertifizierte ­Objekte gelegt wird.

Gralla: Ich glaube schon, dass sich was verändert hat. Es befassen sich immer mehr Immobilienfachleute mit dem Thema FM und Nachhaltigkeit. Und die erkennen, dass eine Zertifizierung auch einen Sinn hat. Aber was noch nicht ­rübergekommen ist, ist die Ganzheitlich­keit der Zertifizierung und Nachhaltigkeit. Es dominiert immer noch die Gedankenwelt,  Energie einzusparen, die  Wertsteigerung und die Kostensenkung. Die modernen Zertifizierungen gehen ja weiter mit der Berücksichtigung der soziokulturellen Aspekte. Das inte­ressiert den Investor derzeit noch nicht vorrangig, die Plakette will er aber haben.

Scharer: Bei nicht unbedingt messbaren Faktoren wie sozio-kulturelle Aspekte tun sich Investor und Nutzer schwer. Wenn sie aber den Ansatz finden, dass man damit auch Geld sparen kann, ist es der richtige Weg. Politischer und gesellschaftlicher Druck hilft gewaltig, nach vorne zu kommen. Nachhaltigkeit und Lebenszyklus müssen von den Unternehmen kapiert werden.

Rosemann:  Immobilien, die über die Nachhaltigkeit eine Wertsteigerung ­erfahren, haben einen deutlichen ­Wettbewerbsvorteil, was vor allem durch  wenig Leerstände deutlich wird.


Was sind die größten Probleme, auf die ein Betreiber in der Praxis trifft?

Häusser: Hauptgrund von Problemen ist die nicht vorhandene Dokumentation. Es müssen Benchmarks für das Lifecycle festgelegt werden.

Weber: Die Dokumentation wird immer vernachlässigt, weil sie Geld kostet und Bauherren sehen erst mal keinen Nutzen in der Dokumentation.

Hutz: Krankenhäuser sind deutlich weiter mit dem FM, sie betreiben aber kein richtiges Benchmark.

Gralla: Dokumente werden nach wie vor nicht vernünftig erstellt. Wird so ­gebaut wie geplant? In der Regel nicht, es wird aber auch nicht vernünftig nachgehalten, so dass auch eine vorhandene Dokumentation nicht immer den letzten Stand aufzeigt.

Weber:  Es gibt noch einen wesentlichen Aspekt, der für eine Dokumentation spricht: Die Inhalte, also was befindet sich eigentlich im Gebäude, nämlich die Materialien und Stoffe, sind meistens nicht bekannt wie und wo in welcher Menge sie eingesetzt wurden. Es liegt keine vernünftige Dokumentation vor, so dass nicht zuletzt die Wiederverwertung der Stoffe nicht gewährleistet sein kann.

Cohnen: Die Vergleichbarkeit, die Messbarkeit von Immobilien ist heute nicht gegeben. Es sind handfeste, messbare ­Kriterien erforderlich. Denn nachhaltiges Betreiben ist keine einmalige Zertifizierung, er ist ein kontinuierlicher Prozess.

Rosemann: Was mich als Mieter inte­ressiert, ist überhaupt ein Zertifikat. Ich identifiziere mich mit einem Gebäude, und das möchte ich präsentieren, da ist ein Zertifikat das geeignete Instrument.

Scharer: Die Frage ist, wie wird das ­Gebäude nachhaltig genutzt? Dabei muss das Nutzerverhalten mit einge­plant werden. Und es bleibt die Frage, ob wir wirklich Ressourcen sparen.

Trusheim: Man muss sich die Frage stellen, was interessiert eigentlich den Investor? Die Antwort ist klar, ihn inte­ressiert nur die Rendite.

Schmahl: Wichtig ist die Frage, was zeichnet einen Betreiber aus, der Nachhaltigkeit gewährleistet. Da ist Transparenz eine ganz wesentliche Voraussetzung. Dann müssen die Prozesse ganzheitlich und mit intelligenten Frühwarnmecha­nismen aufgesetzt werden. Und, nicht zu vergessen, das Nutzerverhalten muss ­gemeinsam mit Eigentümer, Nutzer und Dienstleister optimiert werden.

Rosemann: Als Mieter betrachte ich die Gesamtkosten. Wenn die zu hoch sind, muss der Betreiber die Miete reduzieren, wenn er mich halten will. Also trifft es den Betreiber, wenn die Kosten zu hoch gehen.



Wie weit sind wir mit dem FM und der Nachhaltigkeit? Was können wir tun, dass alle Beteiligten gemeinsam an den erforderlichen Prozessen arbeiten?

Hutz: Beim Betreiben sind wir schon sehr weit, auch in der Analyse und Transparenz der Daten, Verbräuche usw.

Scharer: Es geht beim Betreiben um die monetäre Motivation bei den Entscheidungen und nicht um die ökologische. Kosten müssen reduziert werden, und wenn es dann auch noch grüner wird, wird es gerne mitgenommen.

Trusheim: Ich muss versuchen, mit dem Begriff Nachhaltigkeit richtig umzugehen. Mit dem Begriff Nachhaltigkeit verbinde ich aber auch Inhalte, Maßnahmen und auch Anforderungen, die klar und deutlich sind.

Gralla: Mittel- bis langfristig haben nicht zertifizierte Gebäude am Markt keine Chance mehr. In der Praxis stellt sich die Frage, was will der Kunde, wie ist er aufgestellt? Auch international? Danach richtet sich dann auch die Zertifizierung. Erkennbar ist, dass der Mittelstand was für die Umwelt tun will und identifiziert sich auch damit.

Cohnen: Wichtig ist diesem Zusammenspiel auch die Ausbildung. So langsam wird an den Hochschulen das Thema FM und Nachhaltigkeit abgebildet. Doch das Verständnis und die Akzeptanz von FM fehlen aber nach wie vor in den Hochschulen, bei den Architekten ebenso wie bei den Bauingenieuren.

Gralla: Die Komplexität ist das, was die Hochschulen als Problem haben. Selbst ein einfacher Studiengang wie Architektur oder Bauingenieurwesen ist so komplex geworden. Es gibt Hochschulen die FM als 6-semestrigen Studiengang anbieten. Das ist von null auf hundert ohne „Basics“. Das eigentliche FM-Wissen wird man erst nach dem Studium erlangen. Und es scheint ein Weg zu sein, wenn FM-Dienstleister sich  mit ihren unterschiedlichen Disziplinen koppeln und sich als Team am Markt präsentieren.

Schmahl: Es ist ein Change Prozess. Wir neigen als Techniker dazu, im Detail verwurzelt zu sein. Es ist aber ein ­interdisziplinärer Prozess, bei dem man mit praxisorientierten und erfahrenen Profi-Playern erst das Optimum erreichen kann. Und dieses Wissen kann man nicht über die Hochschule vermitteln, das kommt erst in der Praxis. Das bekommen sie beim Arbeiten mit dem Objekt und dem Kunden.


Wenn die interdisziplinäre Prozesse so wichtig sind für den Gesamtprozess FM und Nachhaltigkeit – wer leitet, wer koordiniert sie?

Cohnen: Es fehlen nach wie vor die interdisziplinären Prozesse, und es werden viel zu wenig die betriebswirtschaftlichen Erfordernisse berücksichtigt. Das liegt daran, dass Techniker oftmals keine betriebswirtschaftlichen Kenntnisse haben. Bei Architekten spielt FM keine Rolle, das haben wir leider sehr oft.

Scharer: Es gibt Tendenzen, bei denen FM und Real Estate zusammengelegt werden. Dadurch bekommen die Abteilungen mehr Gestaltungsfreiheit, und dort sind Leute mit hohen Kompetenzen. Immobilien und FM haben eine sehr hohe Beachtung, weil es ein wesentliches Asset in der Bilanz aber auch in der Wertschöpfungskette des Unternehmens darstellt. Dort, wo das keine Relevanz hat, finden auch keine Prozesse statt.

Rosenmann: Der Betriebsgeldbeutel und der Baugeldbeutel sind immer noch stark getrennt. Auch bei Großkonzernen spielt FM noch nicht die wesentliche Rolle. Der Industriebereich kommt schneller voran weil die anders denken. Das hängt sicher auch mit Abschreibungsmöglichkeiten zusammen.

Cohnen: Nachhaltigkeit von Immobi­lienmanagement ist kein kurzfristiger Hype, sondern ein langfristiger Trend. Bauherren, Investoren und Mieter sind bereit, mehr für diese Art der Immo­bilien auszugeben. Das erfordert aber auch, dass die interdisziplinären Prozesse gewährleistet sind.

Gralla: In Dortmund bilden wir keine Facility Manager aus. Wir haben einen Masterstudiengang Bauprozessmanagement und Immobilienwirtschaft, und das mit den Inhalten Lebenszyklus, Recht, FM, Betriebswirtschaftslehre, aber keine Statik, kein Mathe, aber mit der TGA, einfach das ganzheitliche Wissen des Lebenszyklus. Einschreiben können sich Architekten und Bauingenieure, Anlagentechniker und Verfahrenstechniker folgen im nächsten Schritt.


Fazit

Dem Kongressthema der Consense „Nachhaltigkeit – quo vadis?“ vorgreifend wollte die FACILITY MANAGEMENT-Redaktion die Stimmen aus der Praxis dafür nutzen, um die Entwicklungstendenzen zum Thema FM und Nachhaltigkeit aufzugreifen. Dazu passt auch die Be­fragung der „International Facility Management Association“ (IFMA), die bei der letzten Befragung ihrer Mitglieder festgestellt hat, dass Nachhaltigkeitsinitiativen das Arbeitsgebiet ist, das am stärksten zulegte. Ähnlich stark sind die Zuwächse in der Renovierung/Sanie­rung. Dagegen hat die Beschäftigung mit Neubauprojekten (außer dem Gesundheitssektor) am stärksten nachgelassen.

Diesen Ansatz haben die Teilnehmer dieses 2. FACILITY MANAGEMENT-Expertengespräches mit ihren Erfahrungen und Aussagen bestätigt. Es bleibt die Erkenntnis, dass wir mit FM und der Nachhaltigkeit und den Zertifizierungen auf gutem Weg sind. Jedoch noch nicht wirklich die Ausbildung an den Hochschulen darauf abgestimmt haben. Außerdem zeigt die Praxis, dass die Investoren bzw. Bauherren die monetären Vorteile noch eher im Blick haben als die ökologischen. Das wird aber mehr werden, da bin ich sicher. Mittel- bis langfristig haben nicht zertifizierte Gebäude am Markt einfach keine Chance mehr.

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