Digitale Prozesse und intelligente Produktionsabläufe
Smart Factory und Industrie 4.0. – das sind die Themen, mit denen sich das produzierende Gewerbe in den nächsten Jahrzehnten beschäftigen muss, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Leistungsfähige und digitale Prozesse, intelligente Produktionsabläufe, vernetzte Warenströme und eine in Gänze nahezu selbststeuernde Produktion werden die bisherigen Produktionsstandards ablösen.
Um diesen zukunftsweisenden Industrialisierungsstandards bereits heute umfänglich gerecht zu werden, ist es erforderlich, neben dem eigentlichen Produktionsablauf und den digital organisierten Warenströmen auch die Energieströme auf Produktions- und Standortebene smarter zu machen. Konkret bedeutet das: Effiziente Energiemanagement-Systeme, die auf Basis hocheffizienter und vernetzter Gebäudetechnik die komplex verzweigten Energieströme und Abwärmepotentiale aus der Produktion verwalten, sinnvoll aufzubereiten, zu vernetzen und auf die Bedürfnisse der Produktion zu übertragen, werden unverzichtbar. Ansätze, Gewerbegebiete zu schaffen, die durch gemeinsame Energiekonzepte Energieverbräuche der einzelnen Unternehmen zum Beispiel durch Nutzung von Abwärme senken, gibt es bereits. Durch eine unternehmensübergreifende Vernetzung und Kooperation innerhalb eines Gewerbe- oder Industriegebiets können Synergien erreicht und die Ressourceneffizienz gesteigert werden.
Vernetzung und Synergien als Prinzip
Das Dortmunder Technologieunternehmen Wilo möchte ein Beispiel dafür liefern, wie neben den Entwicklungen des Produktionsstandards auch die Energieversorgung und -verteilung smarter umgesetzt werden kann. An dem fast 150 Jahre alten Standort in Dortmund, wird der Stammsitz auf über 190.000 m² komplett neu strukturiert und aufgebaut. Ziel ist es unter anderem die effiziente Zusammenführung sämtlicher Verwaltungs- und Produktionsbereiche, die bislang an unterschiedlichen Standorten verstreut waren. Mit der Entscheidung am Standort Dortmund zu verbleiben und diesen auszubauen starteten 2011 die ersten vorbereitenden Maßnahmen für einen Neubau der Fabrikation und Verwaltung.
Am Standort der Nortkirchenstraße in Dortmund-Hörde wird dabei auf einer Fläche von ca. 50.000 m² eine komplett neue „Smart Factory“ entstehen, die wiederum in den „Wilo-Campus 2020“, mit Gebäuden für die Verwaltung sowie Bereichen für Forschung und Entwicklung, eingebettet ist.
Auf der Basis digitalisierter Prozesse wird die „Smart Factory“ den Rahmen für effizientere Abläufe in der Lieferkette, Produktion und Logistik liefern. Ziel ist jedoch nicht nur, den Fertigungsbereich zu optimieren und zukunftsfähig aufzustellen. Die „Factory“ ist Teil einer ganzheitlichen Planung, die sämtliche Liegenschaften des neuen Standorts in ein übergeordnetes, gemeinsames Energiemanagement einbezieht, um einen effizienteren Energie- und Ressourcenverbrauch auf dem gesamten Areal zu erreichen.
Von der Smart Factory zum Smart Campus
Dem „Campus 2020“ liegt eine Planung zugrunde, die penibel die Energieflüsse und -verbräuche der einzelnen Liegenschaften sowie Nutzungs- und Produktionsbereiche identifiziert und die daraus resultierenden Synergieeffekte in ein ganzheitliches Energiekonzept übertragen hat.
Neben der Hauptaufgabe, die Produktionsabläufe und Logistik von morgen in ein flexibles und richtungsweisendes Gebäude zu integrieren, bestand die Aufgabe darin, dem Industrialisierungsgrad 4.0 aus Sicht der technischen Versorgung gerecht zu werden. Dabei standen bei der Planung des Wilo-Campus eine Vielzahl von Fragen im Raum:
■ Wie lässt sich eine ausfallsichere und gleichfalls flexible Energieversorgung für die Factory herstellen?
■ Welche Innovationen sind am Standort und unter Berücksichtigung der Erfordernisse der Produktion umsetzbar?
■ Inwieweit lassen sich die einzelnen Gebäude auf dem zukünftigen Wilo-Campus 2020 miteinander vernetzten?
■ Welche Synergien zwischen Produktion und Verwaltungsbereichen sind vorhanden und können sinnvoll genutzt werden?
Um die Umsetzbarkeit einer energetischen Optimierung zu prüfen wurde die Erstellung eines Energiekonzeptes notwendig. Dieses Konzept ist im Rahmen der Vorplanung an die, sich verschiebenden, Parameter aus der Produktions- und Gebäudeplanung immer wieder angepasst worden. Dies war notwendig, um eine klare Vorstellung der nutzbaren Wärmeströme zu bekommen. Daher wurden folgende Schritte in den frühen Leistungsphasen durchlaufen: In einem ersten Schritt wurden die Energieverbräuche der bestehenden Liegenschaften ermittelt – wann wird wo welche Energie benötigt?
Diese Erkenntnisse wurden dann in Phase zwei in Form einer gebäudeübergreifenden Gebäude- und Anlagensimulation auf den geplanten Campus übertragen, um so neben dem tatsächlichen Bedarf die möglichen Synergieeffekte
zu eruieren.
Auf dieser Basis entstanden in einem dritten Schritt unterschiedliche Energiekonzepte für den „Wilo-Campus 2020“, die entsprechend ihrer Umsetzungsfähigkeiten bewertet werden konnten.
Schlussendlich wurde anhand ökologischer und ökonomischer Betrachtungen das optimale Energiekonzept verabschiedet.
Das Energiekonzept greift die Ansprüche des Unternehmens auf und vernetzt diese konzeptionell anhand standortbezogener Versorgungsstrukturen. Dabei konnten mögliche Innovationen am Standort mit der gleichzeitigen Nutzung ohnehin erforderlicher Anlagentechniken verknüpft werden, sodass sich Synergien bereits in der Planungsphase berücksichtigen ließen.
So konnten beispielsweise diese Ansätze in die Planung sinnvoll integriert werden:
■ Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung
■ Photovoltaikanlagen (u.a. zur Nutzung der E-Mobility)
■ Vernetzte Wärme- und Kälteversorgung auf dem gesamten Wilo-Campus
■ Freie Kühlung über Hybridkühler
■ Adiabate Abluftbefeuchtung zur Reduzierung klassischer Kälteerzeugung
■ Nutzung eines Sprinklertanks (ca. 1200 m³) als Kältepuffer
■ Wärmerückgewinnung Produktions- und technischer Anlagen (zum Beispiel Druckluftanlagen)
■ Regenwassernutzung zur WC-Spülung und Gartenbewässerung
■ Gründach als Rückstaumöglichkeit von Regenwasser zur Entlastung der öffentlichen Kanalisation.
Maximaler Effekt durch generalplanerischen Ansatz
Der Grundgedanke der generalplanerischen Projektabwicklung sorgte dafür, dass alle Bedürfnisse und Anforderungen in punkto Energie- und Ressourcenverbrauch berücksichtig werden konnten. Energieflüsse über einzelne Gebäude hinaus wurden analysiert und in die Konzeptfindung und für einen wirtschaftlichen Betrieb herangezogen. Durch diese ganzheitliche Betrachtung konnte das maximale Energiesparpotential herausgearbeitet werden. Wichtig wird sein, diese Vorarbeit nach Inbetriebnahme der Liegenschaften durch ein Monitoring zu überprüfen und – wo notwendig – zu optimieren, um die prognostizierten Werte zu erreichen, oder gar zu unterschreiten.
Fazit
Der neue Wilo-Campus 2020 in Dortmund zeigt: Durch die Einbindung der Betreiber der Bestandsgebäude in die Planung und die Erarbeitung eines Energiekonzeptes zu einem frühen Zeitpunkt, ist es uns gelungen ein umfassendes haustechnisches Konzept zu entwickeln. Denn mittels einer integrierte Standortplanung und eines ganzheitlichen Energiemanagements können hohe Energieeinsparungen realisiert und damit Kosten deutlich reduziert werden. Diese Betrachtungsweise über Gebäudegrenzen hinweg eröffnet erhebliche Synergieeffekte, vor allem dann, wenn im Zuge der Neuerrichtung eines Industrieareals bereits in der Planungsphase die entsprechenden Weichen gestellt werden. Aufgrund der inhaltlichen und organisatorischen Komplexität, die mit dem Industriestandard 4.0 einhergeht, empfiehlt sich eine generalplanerische Herangehensweise, die alle Aspekte des jeweiligen Projekts zu einem integrierten Handlungs- und Strategiekonzept zusammenführt.
Mit einem übergeordneten Energiemanagement-System lässt sich der Leitgedanke auf andere Standorte respektive bestehende Industriestandorte leicht übertragen. Denn der erste Schritt ist, wie bei der Neustrukturierung eines Standortes und Produktionsanlage, die Ermittlung der Schwachstellen in Energiebereitstellung und -verteilung. Anschließend lassen sich Synergien ableiten und auf die Bedürfnisse der Liegenschaft übertragen.
Moderne Produktionsstandorte mit Ausrichtung gemäß Industrie 4.0 parallelisieren den Grundgedanken der Digitalisierung von Produktion und Energieversorgung. Die Industrie der Zukunft wird sich deutlich von dem unterscheiden, was wir heute kennen.
„Office 2020“
Mit der Grundsteinlegung für das neue „Office 2020“ hat die Wilo Gruppe einen weiteren Meilenstein ihres Standortentwicklungsprojekts eingeläutet. Im Beisein von Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau sowie 80 weiteren Gästen aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur war dies nach der Grundsteinlegung zur „Smart Factory“ im Februar 2017 der nächste Schritt im Rahmen der Umsetzung des größten Infrastrukturprojekts in der Firmengeschichte.
Insgesamt investiert der Technologiespezialist für Pumpensystemlösungen einen dreistelligen Millionenbetrag in die komplette Neugestaltung seines Stammsitzes in Dortmund. Das „Office 2020“ umfasst eine Fläche von rund 12.000 m² und wird mit sieben Etagen bei einer Gesamthöhe von 30 m eine zusätzliche Landmarke im Süden der Stadt bilden. Daneben entsteht derzeit auf einer Grundstücksfläche von 194.000 m² die „Smart Factory“. Der gesamte neue Hauptsitz soll bis 2022 fertig sein, die „Smart Factory“ nimmt bereits Ende 2019 ihren Betrieb auf. Gemeinsam mit Dr. Jochen Opländer, Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrates und Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau legten Oliver Hermes sowie Technologievorstand Georg Weber den symbolischen Grundstein. Mit dem Stein wurden in einer Zeitkapsel unter anderem Dinge aus dem bisherigen Büroalltag eingemauert: Textmarker, Schere und Locher erinnern an alten Zeiten und gehören mit dem Office 2020 somit der Vergangenheit an. Das Future Office Konzept bei Wilo ist bereits in der Erprobung und hat alle Prozesse des Büroalltages digitalisiert.