Mehr Natur- und Klimaschutz für Gewerbeimmobilien

Dachbegrünung:
Fakten für Facility Manager

„Grüne Architektur“ und „Green Buildings“ spielen eine immer größere Rolle, wenn es darum geht, Energie zu sparen. Doch gerade in Sachen ­Klimaschutz gibt es nicht nur bei großen Gewerbeimmobilien noch viel Potenzial, etwa wenn es um mögliche Konzepte zur Dachbegrünung geht. ­
Der Artikel zeigt Fakten und Möglichkeiten für die Umsetzung – nicht nur bei Neubauten – auf.

Der Bundesverband GebäudeGrün (BuGG) konnte in seinem jährlichen, im Oktober 2022 zum dritten Mal erschienenen BuGG-Marktreport Gebäudegrün (1) einen Rekord vermelden: Im Jahr 2021 ist die bundesdeutsche Dachbegrünungsfläche um beinahe 9 Mio. m² gewachsen – ein Zuwachs von beinahe 11 % im Vergleich zum Vorjahr.

Diese statistische Information belegt, dass Dach- und Fassaden-Begrünungen beginnen, im Rahmen von Klimaanpassungs-Maßnahmen eine bedeutende Rolle zu spielen. Eine für den Klimaschutz aussichtsreiche Entwicklung, denn insbesondere Dachbegrünungs-Systeme haben das Potenzial, einen großen Beitrag zur CO2-Reduzierung zu leisten.

Damit deutet sich ein Wandel an: „Grüne Architektur“ und „Green Buildings“ werden zwar seit Jahren geplant, vermarktet und realisiert. Gemeint sind damit meist hochgedämmte und hochtechnologisierte Niedrigst-Energie-Gebäude, wobei der Begriff „grün“ lediglich im übertragenen Sinne verwendet wird. Es gibt Beispiele für interessanten Umgang mit Gebäudebegrünung, doch vermissen Kritiker bisher die tatsächliche Nutzung der klimatischen, energetischen Potentiale der Integration von Pflanzen in Gebäude-Realisation und -Nutzung.

Im Folgenden wird am Beispiel einer im Ausbau befindlichen großen Gewerbeimmobilie nachvollzogen, wie „grüne Architektur“ im städtischen Umfeld tatsächlich naturnah umgesetzt werden kann und welche Rolle dabei Dachbegrünungs-Konzepte spielen.

 

Büro-Campus im Augsburger ­Toni-Park

Das Konzept hinter der hier vorgestellten Immobilie ist, aus Klimaanpassungs-Erwägungen keineswegs auf Größe und Nutzbarkeit zu verzichten. Stattdessen sollen Nutzungsbedürfnisse selbst anspruchsvollster Mieter etwa in technologischer Hinsicht berücksichtigt werden:

Es geht um den Augsburger Bürocampus der Toni Immobilien Dr. Krafft KG (Toni KG) mit Sitz in München. Die Toni KG entwickelt diesen Campus auf dem Gewerbeareal „Toni Park“, verkehrstechnisch gut erreichbar zwischen Universitätsviertel und Innenstadt gelegen. Der Schritt für Schritt auszubauende Campus entsteht auf einer Gesamtfläche von rund 50.000 m². Zug um Zug entstehen voraussichtlich fünf Bürokomplexe mit einer Brutto-Grundfläche (BGF) von jeweils 5.000 bis 15.000 m² sowie ein eigenes Parkhaus. Bereits im Jahr 2020 fertiggestellt wurde neben dem Parkhaus der fünfgeschossige Gebäudekomplex A mit einer Fläche von 12.000 m² (BGF). Und Ende des Jahres 2022 wurden die Baumaßnahmen rund um die Gebäudekomplexe B und C mit einer Fläche von 15.000 m² (BGF) abgeschlossen.

Datenkommunikations-technisch gesehen ist der Büro-Campus vorbildlich ausgestattet und deshalb insbesondere für IT-Unternehmen attraktiv. Mit Start Frühjahr 2020 hatte die LEW TelNet den Toni Park mit einer leistungsstarken Glasfaserzuführung an ihren Hochgeschwindigkeits-Backbone angeschlossen.

Die LEW TelNet, eine 100% Tochter der Lechwerke AG in Augsburg, ist einer der führenden Anbieter für Datenkommunikation vor allem im Südwesten Bayerns. Die von ihr zur Verfügung gestellten Highspeed-Internetzugänge auf dem Campus bieten symmetrische Bandbreiten von bis zu 5 Gbits/s im Up- und Download. Für Standortverbindungen sowie für die Anbindung an das LEW TelNet-Rechenzentrum sind sogar Übertragungskapazitäten von bis zu 100 Gbit/s möglich.

 

Naturschutz: Bauherrn können mehr tun

Kommen wir nun zur Nachhaltigkeit des neuen Büro-Campus: Wir hatten Gelegenheit, darüber mit Andreas Lesser zu sprechen, dem geschäftsführenden Gesellschafter der Toni KG. Er treibt die Entwicklung des Objekts mit großem persönlichem Engagement voran und realisiert beispielhaft Naturschutz-Lösungen. Dabei setzt er sich bewusst von üblichen „nachhaltigen“ Konzepten ab: „Nachhaltigkeit kommt als großer Begriff daher. Doch in der Realität beschränkt sich ‚nachhaltiges Bauen‘ zu sehr auf das Einhalten aktueller baurechtlicher Auflagen.“ Aus seiner Sicht ist Naturschutz ein wesentlicher, weitergehender „Nachhaltigkeits-Aspekt“, der beim Bau und Betreiben von Gewerbeimmobilien zu berücksichtigen ist: „Der Bauherr kann für den Schutz der Natur weit mehr tun, als nur das gesetzlich vorgegebene Soll zu erfüllen.“

In diesem Zusammenhang ist die Nutzung der Flachdächer seiner Bürokomplexe ein wesentlicher Faktor: „Wenn die Dächer ungenutzt bleiben, ist die Fläche für unsere Natur schlicht verloren. Deshalb setzen jetzt schon viele Architekten auf Dachbegrünung. Aber wir gehen am Toni Park noch einen Schritt weiter.“

Er verweist darauf, dass herkömmliche Dachbegrünungen in der Regel lediglich über eine fünf bis sieben Zentimeter dicke Substratschicht verfügten. Diese funktioniere ökologisch lediglich eingeschränkt und für wenige Trockengräser-Arten: „Wir haben auf unseren Dächern zwischen 12 und bis zu 45 cm starke Schichten, die auch in den trockensten Sommer feucht bleiben. Außerdem ist bei uns nicht alles gerade, sondern hügelig.“ Darüber hinaus böten in das „Dach-Biotop“ platziertes Totholz und eingebettete Steine Lebensraum für vielfältige Insekten- und Vogel-Arten.

 

Dachbegrünungs-Fakten

Für die Konzeption und Umsetzung der Dachbegrünung im Toni-Park beauftragte Lesser als Projektleiter einen erfahrenen Experten – Dr. Reinhard Witt, Biologe und naturnaher Grünplaner. Ihm stellten wir Detailfragen zum Projekt im Büro-Campus und zur Begrünung von Flachdächern im Allgemeinen:

Was sind die Voraussetzungen für ökologisch anspruchsvolle Begrünungen?

Laut Auskunft von Dr. Witt sind Dächer bis zu einer Neigung von 45 Grad geeignet – ideal ist eine Neigung von bis zu fünf Grad. Damit das eingesetzte Substrat ausreichend Feuchtigkeit aufnehmen kann, ist für ein Biodiversitätsdach eine Schicht zwischen 12 bis 15 cm Dach-Intensivsubstrat erforderlich. Bestehende Kiesdächer oder Dächer mit Minimalsubstraten können im Rahmen von Modernisierungen nachträglich entsprechend begrünt werden – aus bautechnischer Sicht ist dabei sicherzustellen, dass die Statik des Gebäudes die erhöhte Dachlast trägt.

Wie wird ein Dachbegrünungs-Projekt umgesetzt?

In der Regel wird ein Dachdecker-Unternehmen beauftragt, das Substrat entsprechend des Konzepts des Grünplaners aufzubringen. Danach folgen die für das Dach vorgesehenen heimischen Wildpflanzen. Zum Einsatz kommen im Einzelnen Wildblumen-Samen, Blumenzwiebeln – auch Wildpflanzen-Stauden werden eingesetzt. Je mehr Arten dabei verwendet werden, umso besser für das Biotop-System auf dem Dach. Von 100 zu Beginn gepflanzten Arten bleiben im Laufe der Zeit erfahrungsgemäß 45 bis 50 Arten übrig. Nach dem Prinzip der Evolution kommt es aufgrund der besonderen Standort-Bedingungen zu einem Ausleseprozess. Wird zu Beginn vielen Arten eine Chance gegeben, ist sichergestellt, dass sich auf dem Dach keine Monokultur entwickelt, sondern eine gesunde Artenvielfalt stabilisiert. Dr. Witt stellt einen weiteren Aspekt besonders heraus: „Die Bepflanzung kann auf diese Weise laufend ihr Gesicht verändern und sich selbständig an den klimatischen Wandel anpassen. Solche hochwertigen, sprich artenreichen Biodiversitätsdächer mit heimischen Wildpflanzen sind sehr wichtig für den Artenschutz im Siedlungsraum. Sie dienen zusammen mit weiteren naturnahen Grünflächen auf Bodenniveau als wichtige Biotop-Trittsteine vor allem für Insekten und Vögel.“

Erfordert eine Dachbegrünung einen großen Pflegeaufwand?

Laut Dr. Witt ist eine Dachbegrünung mit heimischen Wildpflanzen so etwas wie ein „Selbstläufer“. Abgesehen vom Start der Begrünung mit einer dreimonatigen Entwicklungszeit, in der in trockenen Jahren ein wenig gewässert werden muss, kann die Begrünung anschließend mehr oder weniger sich selbst überlassen werden. Lediglich einmal im Jahr – in den Monaten Februar bis März – wird auf dem Dach gemäht und das Mähgut abgeräumt. Im Herbst bleiben die Pflanzen einfach stehen und bieten in den folgenden Monaten beispielsweise Vögeln Nahrung.

Welches sind wichtige Vorteile einer Dachbegrünung und wie wirkt sie sich auf die Bausubstanz aus?

Dr. Witt stellt heraus, dass grüne Dächer wirkungsvoll helfen, Gebäude kontinuierlich an sich wandelnde Klimabedingungen anzupassen und zu schützen. Beispielsweise werden die Wirkungen extremer Temperaturen ganzjährig abgemildert. Begrünte Flachdächer vermeiden durch Verschattungskühlung Infrarot- und UV- Strahlungsextreme. Auf diese Weise werden Baumaterialien vor mechanischer Überbeanspruchung und vorzeitiger chemischer Alterung geschützt. Im Fall starker Regenfälle können die bepflanzten Dächer Wassermassen bis zu 50 % zurückhalten. Substrat und Bewuchs speichern Regenwasser und bewirken eine reduzierte und zeitversetzte Kanaleinleitung.

Die Gebäudeautomations-Lösung wächst mit

Auch mit Blick auf die technische Gebäudeausstattung und die Gebäudeleittechnik bietet die Dachbegrünung handfeste Vorteile. In diesem Zusammenhang weist Dr. Reinhard Witt darauf hin, dass sich die Dachbegrünung im Augsburger Campus vorteilhaft mit einer Photovoltaik-Anlage kombinieren lässt. Die begrünten Dachflächen bieten der auf Grundgerüsten montierten Solaranlage einen kühlenden Untergrund, der leistungsfördernd wirkt.

Das kommt den Planungen der Toni KG für den weiteren Ausbau entgegen: ­Andreas Lesser will den Toni Park in den nächsten Jahren mit einer großen, 7.000 m² umfassenden PV-Anlage ausstatten. Indem die Gebäudedächer auf diese Weise sozusagen energetisch aktiviert werden und eigenen Strom produzieren, wird die zur Gebäude-Klimatisierung installierte Wärmepumpenlösung des Campus um ein weiteres effektives und dabei klimaschonendes Element ergänzt.

Über die Details sprachen wir mit Holm Ebermann von der PKE Deutschland GmbH, der als Projektleiter mit der Gesamtkonzeption und der Realisation von Gebäudeausstattung und GLT betraut ist: „Unsere Automations-Lösung ist darauf ausgelegt, eine voll funktionsfähige Steuerung des Gesamtobjekts zu ermöglichen, die übersichtlich und intuitiv bedient wird und sich dem weiteren Ausbau des Objekts einfach anpassen lässt.“

Zu diesem Gesamtprojekt gehört die Wärmepumpen-Lösung mit ihrer Steuerung des Pump-Systems auf der Basis von fünf Grundwasser-Entnahmebrunnen und fünf Schluckbrunnen. Die damit nutzbare Wärme- bzw. Kühlenergie wird unter anderem in einen Gebäudekühlungs-Kreislauf sowie in den Wärmekreis eingespeist, in den die in den Gebäuden genutzten Wärmeböden integriert sind.

Im Augenblick wird die Gesamtsteuerung für die Gebäudekomplexe A, B und C über einen Schaltschrank-Aufbau in der Technikzentrale im Kellerbereich per Touchpanel realisiert. Darüber hinaus ist es möglich, das Gesamtsystem etwa im Rahmen von Wartungen direkt aus Büros der PKE per VPN-Tunnel fernzusteuern. Beim weiteren Ausbau des Campus wird das Steuerungssystem mit einem Cloud-Connector der Priva Building Intelligence ergänzt, was zukünftig ein datenbasiertes Monitoring und Eingreifen per Cloud ermöglicht. Für die Realisierung der beschriebenen Steuerung wurde bereits auf weitere Priva-Lösungen zurückgegriffen. Auf der Automationsebene kamen Controller der Blue ID-Serie zum Einsatz und per TC Engineer-Auslegungs-Software wurde die Steuerung konzipiert, die Umsetzung geplant und die Implementierung vorbereitet. Diese Steuerungs-Lösung kann zukünftig Zug um Zug einfach erweitert werden, wenn die Stromproduktion aus der zukünftigen PV-Anlage oberhalb der Dachbegrünung in das Gesamtsystem integriert wird und unter anderem zum Betreiben der Wärmepumpe genutzt wird.

Quelle

1. BuGG-Marktreport Gebäudegrün 2022

https://www.gebaeudegruen.info/­fileadmin/website/downloads/bugg-fachinfos/Marktreport/BuGG-Markt­report_Gebaeudegruen_2022.pdf

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